Laubmann 2 - Bärenzwinger
sich Hans Merten erneut in den Kirchenraum. Dort machte er noch ein zusätzliches Licht für den Altarbereich und einen Heizstrahler an, damit es der Priester am Altar nicht zu kalt haben würde. Anschließend legte er ein Kniekissen für sich als Ministrant auf die Steinstufen vor den Altar und stellte die Läutschelle für die Wandlung zurecht. Dann plazierte er die liturgischen Wasser- und Weingefäße auf der Kredenz im Altarraum.
Nach dem Bereitstellen des Opferbeutels und dem Einschieben der Liednummern in die alte, hölzerne Anzeigetafel ging der Kastellan zurück in die Sakristei, wo Glöcklein im Gebet verharrte – recht theatralisch auf einer barocken Kniebank vor einem mächtigen Kruzifix. Unwillkürlich bekreuzigte sich Merten, nahm aus dem Schrank sein Meßdienergewand und streifte es sich über. Er beneidete Glöcklein fast darum, wie ernst ihm das alles sein konnte. Ihm selbst mutete es oft nur wie ein Schauspiel an.
Hans Merten warf einen Blick durch den Türspalt in die Kapelle. Eine erste Gruppe der Tagungsteilnehmer, darunter Dr. Laubmann, war bereits zur Frühmesse erschienen, und das an diesem kalten Morgen. Bebenhausen und Meister hatten schon für sich in der Hauskapelle zelebriert und für das Seelenheil Alfonso Forsters gebeten. In der Burgkapelle gehörten sie also nur zum Kirchenvolk. Alle saßen in den hinteren Bänken, im dunkleren Teil des Kirchenschiffs, wobei Laubmann und Bebenhausen jeweils eine der nicht sehr breiten Bankreihen für sich hatten. Friedemann Böhmer und Heribert Bach war es untersagt, am späteren Kommunionempfang teilzunehmen; Böhmer, weil er evangelisch geworden, Bach, weil er geschieden und wiederverheiratet war. Prälat Glöcklein war diesbezüglich unerbittlich.
Bald darauf kam die Moraltheologin Christa SchanzHaberberger, die ihre Haare wieder als Zeichen der Unaufdringlichkeit nach hinten gebunden hatte, durch die Tür, benetzte in der seitlich angebrachten Steinschale die Fingerspitzen der rechten Hand mit Weihwasser und schlug ein Kreuzzeichen. Sie entnahm der bereitstehenden Holzkiste eines der Gesangbücher, lief grußlos durch den Mittelgang an den Kollegen vorbei, knickste kurz mit Blick zum Allerheiligsten im Hochaltar und setzte sich auf den äußersten Platz in der vordersten rechten Bank. Als engagierte Theologin plädierte sie für die Frauenordination.
Die schicke Literaturprofessorin Barbara Burgerroth verharrte umherschauend einen Moment unter der Eingangslampe, als betrete sie eine Bühne, streifte ihre feinen Handschuhe ab, griff nach einem Gesangbuch und strebte auf die Schanz-Haberberger zu, die für sie zur Seite rückte. All das sehr elegant und ohne Kniebeuge, auf die Ippendorff, der Barbara Burgerroth gefolgt war, eigentlich gewartet hatte. Weil Christa Schanz-Haberberger keine Anstalten machte, ihn auf die «Frauenseite» zu lassen, begnügte er sich mit einer der linken Sitzreihen.
Zum Schluß tauchte Kommissar Ernst Lürmann am Eingang auf und fand sich, was die kirchlichen Verhaltensmuster betraf, kaum zurecht. Irgendwie kam er dann neben Heinrich Ippendorff zu sitzen, der ihn deshalb beinahe verflucht hätte, wenn das innerhalb eines sakralen Raums und vor einem Gottesdienst nicht besonders unangebracht gewesen wäre. Den Kommissar wollte er nicht in seiner Nähe haben. Nachdem Lürmann bereits Platz genommen hatte, verließ er diesen noch einmal und holte sich ein Gesangbuch, da er erst jetzt erkannt hatte, daß man hier so etwas brauchte.
«Heute ist die Frühmesse gut besucht», flüsterte Hans Merten, sich in der Sakristeitür zu Glöcklein umdrehend. Der Prälat stand würdig hinter ihm und hielt den Kelch mit der Hostienschale vor sich. Gleich darauf schritt Merten durch die spitzbogige Sakristeitür voran in den Altarraum, wobei er im Vorübergehen an einer am Türstock befestigten kleinen Glocke zog. Beim Glockenklang erhob sich das «Volk» im Kirchenschiff.
Merten stellte sich vor den Volksaltar, zunächst der Gemeinde zugewandt, und intonierte das erste Lied: «O Herr, aus tiefer Klage erheb’ ich mein Gesicht, und was ich bin, das trage ich hin vor dein Gericht.» Glöcklein begab sich hinter den Altartisch, küßte, sich herabbeugend, symbolisch die in den Altar eingelassene Reliquie und stimmte in das Lied ein. Für Laubmann war das Singen allerdings diejenige Kunst, die er am wenigsten beherrschte beziehungsweise beherrschen wollte.
Alle hatten sofort ihre Gebetbücher ergriffen und das Lied aufgeschlagen.
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