Laubmann 2 - Bärenzwinger
Unvermittelt fiel mit lautem Klimpern ein Schlüssel zu Boden. Sie schauten auf Bebenhausen, dem der Schlüssel heruntergefallen war. Er war erschrocken und blickte verwundert zurück, verstört, ja als ob er beschwichtigend zu lächeln versuchte. Seine Lippen schienen formulieren zu wollen, daß er sich das nicht erklären könne, aber er brachte im ersten Moment keinen Ton heraus.
Der Gesang erstarb, völliges Schweigen breitete sich aus. Glöcklein war irritiert, wußte nicht, wie er sich verhalten sollte. Die Ordo Missae sah bloß eine Fortsetzung der Feier vor. Petrus von Bebenhausen bückte sich, hob den flachen Schlüssel auf und betrachtete ihn wie ein Rätsel. Da trat Lürmann aus seiner Kirchenbank hervor und ging unumwunden auf Bebenhausen zu, der nur noch sagen konnte: «Der ist mir aus dem Gebetbuch gefallen…»
Doch das war Lürmann gleichgültig. Er zog ein Stofftaschentuch aus seiner Jacke, legte es sich auf die Handfläche und nahm Bebenhausen den Schlüssel mit Hilfe des Tuches weg, das heißt, ohne das mögliche Beweismittel direkt zu berühren, um keine Spuren zu verwischen. Als habe er längst auf einen solchen Vorfall gewartet, steckte er den Schlüssel vorsichtig in seine Jackentasche, um wiederum unter Zuhilfenahme des Stofftaschentuchs auch das Gesangbuch Bebenhausens zu konfiszieren.
Laubmann hatte sein Gesangbuch niedergelegt und schon einmal sein eigenes Stofftaschentuch herausgeholt, falls der Kommissar ein weiteres gebrauchen sollte. Nicht nur Lürmann und Laubmann konnten sich auf Anhieb vorstellen, daß der bei Bebenhausen aufgefundene Schlüssel der verschwundene Schlüssel vom Tatort war, der Schlüssel zum «Bärenzwinger».
«Würden Sie sich bitte gleich mit mir nach draußen begeben?» wandte sich Lürmann an den adligen Professor, und es klang wie eine Festnahme. Innerhalb der «Kirchengemeinde» wurde ein Murmeln laut, mit gehässigen Untertönen. Ohne Antwort taumelte der große Bebenhausen Richtung Ausgang. Lürmann hielt sich hinter ihm und legte ihm sogar die Hand auf den Rücken, als wolle er ihn hinausschieben. Laubmann folgte unwillkürlich. Die baldige Vernehmung konnte er sich keinesfalls entgehen lassen.
Währenddessen hatte der Zelebrant am Altartisch gleichsam aus Protest die Stimme erhoben: «… und was ich bin …», wiederholte er halb singend und fuhr dann lauter und bestimmter fort, «… das trage ich hin vor dein Gericht!» Die Messe mußte ja weitergehen.
***
«Ich habe überhaupt keine Ahnung, wie der Schlüssel in das Gesangbuch geraten ist.» Petrus von Bebenhausen schien zu resignieren.
«Ihre Unschuldsbeteuerungen sind nicht sehr originell», erwiderte Kommissar Glaser, der vor dieser Befragung extra vom Kollegen Lürmann verständigt worden war. Er möge doch bitte gleich in den Konferenzraum der Burg kommen, sie hätten – er sprach von sich und Laubmann – einen wichtigen, vielleicht sogar entscheidenden Vorfall aufzuklären.
Professor von Bebenhausen wollte sich kleinmachen – es gelang ihm nicht. Seine wuchtige körperliche Erscheinung bildete einen Gegensatz zu seiner schlicht vorgetragenen Unschuldsbeteuerung. Rein äußerlich war ihm der hochsensible Professor, der die Exegese des Neuen Testaments an der Universität Würzburg lehrte, einfach nicht anzumerken. Er war gleichsam wie gelähmt vor Schreck. Übelwollende hätten ihm sein unbeholfenes Verhalten allerdings als skrupelloses Täuschungsmanöver auslegen können.
Mehr umständlich als ausführlich erklärte Kommissar Lürmann: «Ich habe den Schlüssel überprüft und herausgefunden, daß er genau in die Schließvorrichtung des ‹Bärenzwingers› paßt, das heißt in das Schlüsselloch der Tür des Tatorts, ergo des Mordzimmers. Es handelt sich zweifelsfrei um den fehlenden Schlüssel, den wir die ganze Zeit über gesucht haben.»
«Sie werden doch nicht bestreiten, daß Ihnen dieser Schlüssel entglitten ist, Herr von Bebenhausen!» Glaser deutete auf den Tisch, wo Gesangbuch und Schlüssel in durchsichtigen Plastikbeuteln wie auf einem Tablett präsentiert lagen. Die Gegenstände waren dem Erkennungsdienst zu übergeben.
«Er ist nicht mir entglitten, wie Sie behaupten», wand sich der Angesprochene.
«Wem sonst? Direkt neben Ihnen befand sich niemand in der Kirchenbank. Wurde er Ihnen von irgendwoher vor die Füße geworfen?»
«Nein; ich möchte nur zum Ausdruck bringen, daß er aus dem Gesangbuch gefallen ist, als ich den Liedtext aufgeschlagen habe.»
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