Laubmann 2 - Bärenzwinger
Gefrierpunkt; und es war windstill. Die Nachtvögel ruhten schon wieder; die zwei Bärenweibchen in ihrem Gehege rührten sich nicht. Aber «intra muros», wie sich Dr. Laubmann auszudrücken pflegte, also innerhalb der Burgmauern, tat sich bereits in aller Herrgottsfrühe etwas. In einzelnen Zimmern war Licht angegangen.
Die Frau des Kastellans zuckte im Schlaf und wehrte sich gegen das Erwachen, während sich Hans Merten bereits erhob. Er wurde winters wie sommers immer zur selben Zeit wach und brauchte keinen Wecker. Doch auch Sophia Merten mußte bald nach ihrem Mann aufstehen, um für das Frühstück der Gäste zu sorgen. Von ihrer Wohnung über der Burgschmiede hatten sie das Hauptgebäude im Blick.
Der Kastellan kontrollierte, nachdem er sich trocken rasiert, flüchtig gewaschen und rasch angezogen hatte, als erstes den Schneestand, genauer, ob zu räumen wäre, was an diesem Morgen nicht nötig war. Danach ging er hinüber zum Palas, überprüfte dort, ob die Heizung funktionierte, schaltete einzelne Innen- und Außenlampen an und stapfte mißmutig und fröstelnd über den Burghof zurück zur Burgkapelle, wobei er den Weg mit Sand bestreute. Sakristei und Kapelle mußten nämlich für die tägliche, von Prälat Glöcklein gewünschte Frühmesse hergerichtet werden.
Leider, dachte sich Merten immer wieder, habe ich mich beim Unterschreiben meines Einstellungsvertrags dazu verleiten lassen, in der Kirche auch den Mesnerdienst zu übernehmen. Das bedeutete, die Meßgewänder zurechtzulegen, Kelch, Wasser und Wein bereitzustellen oder das Meßbuch aufzuschlagen. Bei diesen Gelegenheiten kamen regelmäßig die Eigenheiten der jeweiligen Gast-Priester zum Vorschein: Dem einen paßte die morgendlich-mürrische Art Mertens nicht, dem anderen war sein Mitwirken zu aufdringlich, ein dritter wollte in der Burgkapelle mehr Kerzen angezündet sehen und so weiter. Das ließ sich Merten nur ungern bieten.
Als er den Außeneingang zur Sakristei aufgeschlossen und drinnen alles vorbereitet hatte, entzündete er in der Kirche die Kerzen am historischen Hochaltar sowie auf dem moderneren, zum Kirchenvolk hin ausgerichteten Hauptaltar, prüfte die Füllmenge der Weihwasserschale am Besuchereingang im hinteren Teil der Kapelle und betätigte im dortigen Sicherungskasten den Schalter für die Innenbeleuchtung. Eine laternenförmige Lampe im Eingangsbereich beschien die offene Kiste mit den Gebetbüchern und das kleine Schriftenregal, das sogar einen Kurzführer über die Burgkapelle von dem Autor Hans Merten enthielt.
Ja, er selbst hatte dieses reichlich bebilderte Heft verfaßt, nachdem ein Mitarbeiter des lokalen Zeitungsverlags mal vor Jahren eine Burgkapellen-Führung unter Merten mitgemacht und diese für so gut befunden hatte, daß man ihn bat, als Autor in Erscheinung zu treten. Freilich hatte er beim Verfassen des Manuskripts Unterstützung benötigt; und vieles war durchs Lektorat so stark geändert, gekürzt oder umgeschrieben worden, daß Merten seinen Text kaum wiedererkannt hatte. Doch seine Enttäuschung hatte sich mit der Zeit gelegt, denn schließlich stand sein Name darüber. Auch an der Rezeption war die Schrift käuflich zu erwerben.
Die Kapelle war gar nicht mal so beengt, sondern bot Platz für vierzig bis fünfzig Personen. An den Wänden des Kirchenschiffs und des gotischen Chors war eine Reihe vorzüglich gefertigter Steingrabmäler früherer Burgbewohner und Burgbesitzer befestigt. Unter den Grabmälern fand sich sogar eine Arbeit aus der Werkstatt des Tilman Riemenschneider, die Anfang des 16. Jahrhunderts geschaffen worden war. Die Inschriften kündeten von Rittern sowie der Familie derer von Hohenfranken. Diese hatte im Zuge ihrer Historismus-Leidenschaft Ende des 19. Jahrhunderts das neogotische Chorgestühl und den neogotischen Hochaltar aufstellen lassen.
Der Herr Prälat Glöcklein, der Zelebrant der heutigen Frühmesse, war inzwischen in die Sakristei gekommen. Während Merten ihm ins Meßgewand half, besprachen sie die in der Messe vorzutragenden Texte und wählten die Lieder aus. Der Kastellan sollte die Lesung übernehmen sowie als Meßdiener fungieren.
«Ich läute dann mal», sagte Hans Merten, und die Ankündigung kam ihm gegenüber Glöcklein komisch vor. Er betätigte den Knopf, der die Glocke auf dem Dach der Burgkapelle in Gang setzte. Die Glocke rief zum Gottesdienst. Noch mehr als Laubmann in der «Gespensternacht» empfand er ihren Klang wie ein Totengeläut.
Daraufhin begab
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