Laubmann 2 - Bärenzwinger
anschließend für einen Vortrag der Professorin Burgerroth über ihr Thema «Wahrheit und Literatur» genutzt werden, denn der Tagungsbetrieb war mittlerweile wieder in vollem Gange. Bereits am späten Nachmittag hatte Professor Grunde, ungeachtet des Malheurs mit Bebenhausen, in einer Fortsetzung seines vorgestrigen Einführungsreferats über den Philosophen Friedrich Nietzsche und dessen Essay zu Wahrheit und Lüge geredet. Philipp Laubmann bedauerte es, nun ausgerechnet den Vortrag seiner neugewonnenen Freundin zu versäumen.
Ernst Lürmann schlug vor, in sein eigenes Zimmer im ersten Stock des Gästetrakts zu gehen, womit Glaser einverstanden war. Laubmann spekulierte auf eine ähnliche Unordnung in Lürmanns Zimmer wie in seinem, war dann jedoch sprachlos. Lürmann hatte seine Kleidungsstücke, seine persönlichen Gegenstände und die dienstlichen Papiere mit äußerster Sorgfalt aufgehängt oder abgelegt. Kaum wagte man es, sich hinzusetzen.
Kommissar Glaser holte aus einer flachen hellbraunen Ledermappe, die auffallend gut zu seiner Wildlederjacke paßte, die in Plastikordner einsortierten Ergebnisse der Gerichtsmedizin und des Erkennungsdienstes heraus.
«Da Professor Forster brasilianischer Staatsbürger war, wurden inzwischen das Landeskriminalamt und das Auswärtige Amt formal informiert. Vorläufig wird sich aber keines der beiden Ämter in unsere Ermittlungen einschalten, denn diplomatische Verwicklungen sind wohl nicht zu befürchten. Unser werter Herr Prälat oder sein Bischof werden kaum eine Kirchen- oder Staatskrise heraufbeschwören wollen.»
Laubmann nahm Glasers Ironie wohlwollend zu Kenntnis.
Der Kommissar setzte seine Erläuterungen anhand der mitgebrachten Schriftstücke fort. «Die gerichtsmedizinische Untersuchung der Leiche hat einerseits unsere bisherigen Vermutungen über den Tathergang bestätigt, andererseits aber auch etwas ganz Erstaunliches zutage gefördert, das sich noch nicht so recht in das Umfeld der Tat einordnen läßt.
Zum ersten, wir können es als gesichert betrachten, daß sich der Mord zwischen 20 und 21 Uhr ereignet hat; vielleicht auch ein paar Minuten vor 20 Uhr. Alfonso Forster kam mittelbar durch einen Schlag mit einem stumpfen, schweren Gegenstand zu Tode, und zwar dem massiven Kerzenständer aus Messing, circa 80 Zentimeter hoch, gut fünf Zentimeter im Durchmesser, unten mit einem breiteren Fuß sowie oben mit einem ähnlich breiten Teller und mit einer herausstehenden Spitze zum Aufstecken der Kerze.
Zur Tötung Forsters genügte im Grunde ein einziger Schlag, der schräg von oben nach unten geführt wurde. Folglich ist davon auszugehen, daß das Opfer saß oder leicht vornübergebeugt stand. Der Schlag kann demnach sowohl von einem Mann wie auch einer Frau getätigt worden sein.»
«Vielleicht hat das Opfer auf seine Unterlagen geblickt», überlegte Laubmann.
«Gut möglich. Der Kerzenständer hat das Opfer unterhalb des Hinterkopfes im Bereich der oberen Halswirbel getroffen. Soweit ich das verstehe, wurde das Genick dabei aber nur angebrochen. Forster hat zudem aus Altersgründen an leichter Osteoporose, also an Knochenschwund gelitten. Durch den Schlag ist eine Platzwunde entstanden, die allerdings aufgrund des sehr schnell eingetretenen Todes keine größere Blutung zur Folge hatte.
Es existiert aber noch eine zweite, nicht offene Verletzung, nämlich an der linken Seite des Kopfes im Schläfenbereich. Hautabschürfungen an der Sitzkante des Stuhls deuten darauf hin, daß Forster beim Fallen mit dem Kopf dort aufgeschlagen sein muß. Und erst dieses Aufschlagen hat wohl endgültig den Genickbruch verursacht. Anders gesagt, das hat dem Täter gegebenenfalls einen zweiten oder dritten Schlag mit dem Messingständer erspart.»
«Das heißt, wir gehen mit größter Wahrscheinlichkeit von einem geplanten Mord aus und nicht von einer Tat im Affekt», stellte Lürmann fest.
Glaser war ähnlicher Meinung. «Darauf dürften der pathologische Befund und der verschlossene Raum hinweisen. Nicht zu vergessen der zunächst verschwundene Schlüssel, egal wie Bebenhausen dazu steht. Und Herr Dr. Laubmann hat uns bereits auf die Osterkerze aufmerksam gemacht, die an der Wand abgestellt war. Andererseits existieren aber auch Fingerabdrücke, die wir nicht ignorieren können. Darauf komme ich noch zu sprechen. Bei einer geplanten Tat wären Fingerabdrücke vermieden worden.»
«Und wenn der Täter Handschuhe getragen hat, die Fingerabdrücke also von
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