Laubmann 2 - Bärenzwinger
Christa Schanz-Haberberger ekelte sich davor.Wütend funkelten ihre Augen in die Richtung der anderen, der Wachgebliebenen, um zu erkunden, wie sie reagieren würden. Aber Professor Bach lächelte nur gleichmütig herüber.
‹Lassen Sie ihn›, schien sein Blick zu sagen, ‹ist doch so warm und wohlig hier am Kaminfeuer; und am Abend nach den Vorträgen und Arbeitsgruppen haben wir uns etwas Schlaf verdient.›
Wie zur Affirmation – oder sollte es eine Provokation sein? – nahm er einen Schluck aus seinem Cognacglas, das er die ganze Zeit über bedächtig geschwenkt und mit den Händen gewärmt hatte. Einmal nur Genießer sein. In einem Kaminzimmer in einer alten Burg sitzen, edlen Cognac trinken, sich vom Aroma der feinen Zigarre, die der Kollege Böhmer rauchte, einhüllen lassen. ‹Das müssen unchristlich teure Zigarren sein.›
Dachte keiner mehr an den Mordfall zurück? Hatten sie ihn bereits verdrängt? Das Unheil des Mordes lag doch trotz aller Heimeligkeit über dem mit Cognac-Aroma, Kaminfeuer und Zigarrenrauch angefüllten Zimmer – aber es störte momentan nicht. Vielleicht war es sogar eine letzte Würze, die dem Wohlgefühl der Seele noch dieses Quentchen Kälte, dem Licht des Verstandes einen gewissen Schatten und dem Geist der Wahrheit jene Lügen hinzufügt, die das irdische Dasein aufregend lebendig machen.
Für Sophia Merten konnte das Leben einerseits gar nicht aufregend genug sein, obgleich sie andererseits die eindringliche Befragung vom Vortag noch nicht so recht verkraftet hatte. Keinesfalls wollte sie jedoch endgültig jener tödlichen Ödnis verfallen, in welche sie von ihrem Ehemann auf dieser katholischen Burg von Anfang an hineingezogen worden war.
Sie genoß es, ab und zu ins Kaminzimmer zu sehen; etwa um das Feuer zu kontrollieren. In das Kaminzimmer, in dem all die wichtigen Männer waren. Obwohl, sie saßen ihr alle viel zu bedächtig da, und das nach dem Mord. Oder lauerten sie nur darauf, daß sich einer verraten würde?
Sophia schwebte leise durch den Raum, um niemanden zu stören, streifte nah an einem der Herren vorbei, ordnete einen Stoß Zeitschriften neben einer Sitzgruppe aus massiven, alten Fauteuils, klappte den Klavierdeckel herunter und zog die schweren Vorhänge zu. In der ganzen Burg diese dunkelweinroten Vorhänge. Vielleicht beobachtete sie ja der eine oder andere der Anwesenden; denn sie hielt sich keineswegs für unerotisch, mit ihrem schulterlangen Haar und dem tiefen Dekolleté. Sie machte sich wenig daraus, daß ihr Mann ihr Verhalten nicht billigte.
Freilich wurde auch ein bißchen diskutiert, wenigstens ansatzweise. Allerdings nicht über den Abendvortrag Pro fessor Meisters zur Wahrheit in Staat und Kirche – aus verständlichen Gründen. Helmuth Grunde ergriff die Gelegenheit, noch einmal das Nietzsche-Thema aus seinem Referat und seiner Arbeitsgruppe vom Nachmittag anzuschneiden. Er wollte Nietzsche durchaus ernstgenommen wissen mit seiner Kritik an einem idealistischunmenschlichen Wahrheitsbegriff und dem Beharren auf der Realität der Lüge. Aber das Christentum, meinte Grunde, sehe den Menschen ja ebenso fundamental und realistisch als Sünder, der – und das sei der Unterschied zu Nietzsche – des Heils durch Jesus Christus bedürfe. Im Ausgangspunkt seien sich diese Philosophie und die Theologie gar nicht so fern.
Niemand hörte freilich so recht zu. Grunde ging ihnen mit seinen Wiederholungen und seinem unruhigen Magen auf die Nerven. Und Sophia Merten kümmerte Nietzsche nicht. Ihr fiel bloß auf, daß Heribert Bachs Blick auf ihr ruhte.
Allein der eingebildete Heinrich Ippendorff ließ sich zu einem Kurzkommentar verleiten: «Das kann jeder halten, wie er will. Mir imponiert Ihr Nietzsche nicht.» Durch diesen allgemein hingeworfenen und abfällig klingenden Satz wollte er freilich bloß erneut die Aufmerksamkeit Barbara Burgerroths gewinnen, in deren Nähe er sich niedergelassen hatte. Einen Versuch war’s ihm wert. Grunde war verstimmt.
Doch nur Sophia Merten reagierte darauf, indem sie auf ihn zuging und fragte, ob er vielleicht noch etwas wünsche. «Tee? Kaffee? Oder einen Grog?»
«Haben Sie auch Glühwein?» wollte statt dessen Frau Professorin Burgerroth wissen und freute sich über diesen besonderen Service.
«Ich bringe Ihnen gerne einen Glühwein», antwortete Sophia förmlich. «Und Sie, Herr Professor Ippendorff?» – Er sagte nichts, lehnte nur mit einer Handbewegung ab. Fast beleidigt zog sich Sophia Merten
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