Laubmann 2 - Bärenzwinger
aus, mutmaßte er.
Als die Klostergebäude inmitten der zugehörigen Waldungen auftauchten, verschloß er das Lunchpaket wieder. Die klösterliche Anlage erhob sich ausgesprochen malerisch an einem Abhang des Steigerwalds zum Maintal hin. Sie war in hellem Sandstein erbaut worden, den man dereinst aus den Steinbrüchen der Umgebung gewonnen hatte. Inzwischen war die Farbe der Steine gealtert und bräunlicher geworden. Der Legende nach ging die Gründung des Klosters auf den heiligen Gangolf, einen französischen Adligen des achten Jahrhunderts, zurück, der an einer hier entspringenden Quelle Heiden getauft haben soll. Das Kloster wurde, historisch betrachtet, freilich erst im zwölften Jahrhundert erwähnt.
Etwas von den uralten Zeiten war in jenem Waldkloster aus unverputztem Sandstein noch spürbar, empfand Laubmann. Er stieg aus und sog die Luft wohlig ein. Sie war frisch und kühl, jedoch nicht so rauh, daß Laubmann auf seine Ohrenschützer zurückgreifen mußte. Er ließ sie also in seinem Auto, hinten auf dem Rücksitz, liegen.
In diesem Augenblick trat die Sonne aus den Wolken und übergoß die Klosteranlage mit einem scharfkantigen Licht. Die hell getünchte barocke Kirchenfassade erstrahlte. Vor einigen Jahren war sie renoviert worden. Wenn man bedachte, daß die Anlage nach der Säkularisation 1803 auf Abbruch hatte verkauft werden sollen, konnte man von Glück reden, daß sie bald darauf vom Kapuzinerorden erworben worden war.
«Kann ich mit Pater Oswald, Pater Oskar oder Bruder Otto sprechen?» fragte Laubmann eine Minute später einen dösenden Frater in seinem winzigen Büro an der Klosterpforte. Der schaute, mehr brummig als überhaupt antwortend, hinter seiner Glasscheibe in einem abgegriffenen Verzeichnis nach und gab schließlich an, daß Pater Oswald im Kloster weilen müsse. Oskar und Otto seien außer Haus. Nach einem kurzen Telefonat erklärte der Pförtner, Pater Oswald halte sich im Kreuzgang auf.
Laubmann kannte sich aus. Er dankte für die Mühe und machte sich auf den Weg.
Rechts von dem weiten Gang, der sich hinter der Pforte auftat, lag die große Barockkirche Sankt Gangolf, berühmt durch ihre Orgel, ihre Deckengemälde und ihren Rokokostuck. Der Bau, beruhend auf einem romanischen Kern, war erst 1797 vollkommen fertiggestellt worden. Philipp warf heute keinen Blick ins Kircheninnere, obwohl eine Seitenpforte offenstand. Er vernahm im Vorübergehen nur den Klang der Orgel, an der jemand übte. Dann schritt er durch einen romanischen Bogen in den gotischen Kreuzgang.
In diesem Geviert hielt er sich besonders gern auf. Es hätte ihn gereizt, im Brevier betend an den Säulenkapitellen mit ihren mittelalterlichen Drachen, seltsamen Mensch-Tier-Wesen, biblischen Szenen und Todesvisionen sowie dem Brunnen im gartenähnlichen Innenhof vorbeizuschreiten, wie es Pater Oswald tat. Die beiden übereinander gesetzten Schalen des Brunnens waren bekrönt von einer figürlichen Darstellung des heiligen Gangolf als Ritter auf einer Mittelsäule.
«Hallo, mein lieber Philipp!» grüßte ihn Oswald, nicht ohne Würde in der Stimme.
«Gelobt sei Jesus Christus!» rief Laubmann freudig; er hatte im ersten Moment seinen Freund hinter einer Biegung des Kreuzgangs fast übersehen.
«In Ewigkeit. Amen!» ergänzte Pater Oswald fröhlich. Mit dieser Förmlichkeit hatten sich beide schon oft begrüßt, und Oswald war klar, daß Laubmann damit ihre gemeinsame Schulzeit anklingen ließ, in der sie ihren Religionslehrer, der zugleich Priester war, immer so grüßen mußten, wenn er das Klassenzimmer betrat.
Der Kapuziner trug seinen dunkelbraunen Habit, welcher, wie es der Ordenstracht entsprach, mit einem weißen Strick umgürtet war. Oswald, der vor seinem Eintritt in den Orden den Vornamen Hans-Dieter hatte, war nur wenige Zentimeter größer als Philipp. Sein Gesicht war kantig und breit und wurde von einem kräftigen Bart geziert. An seinem Hinterkopf hatte er sein Haar kreisförmig verloren, was aber insofern nicht störte, da es aussah, als wäre die beginnende Glatze nichts weiter als eine absichtliche Tonsur.
«Du bist nicht zufällig hier, habe ich recht?» fragte der Pater.
«Du kannst dir sicher denken, warum ich gekommen bin.» Laubmann fühlte sich keineswegs durchschaut.
«Der Mord an Professor Forster hat uns ehrlich erschüttert. Ein Mitbruder hat davon im Ordinariat erfahren. Forster war ein gern gesehener Gast hier und ein enger Freund von Pater Anton. Du kennst ihn ja, mit seinen
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