Laubmann 2 - Bärenzwinger
«Wenn wir annehmen, daß der Täter der Mörder ist und aus der Burg kam, wobei der Täter wie der Mörder nach wie vor auch eine Frau sein kann beziehungsweise eine Frau die Täterin … wenn er oder sie also aus der Burg gekommen ist, müssen wir fragen, wann und wie.»
«Falls wir es nicht mit einem Komplizen zu tun haben», wandte Glaser ein. «Das können wir noch immer nicht ausschließen, nicht einmal für den Mord.»
«Aber die Nachricht an Philipp, das heißt an Dr. Laubmann, wurde innerhalb der Burg übermittelt.»
«Dr. Laubmann war am Nachmittag und am Abend nicht in der Burg. Das war keine große logistische Herausforderung, die Nachricht unter der Tür von Dr. Laubmanns Zimmer durchzuschieben. Schwieriger dürfte es gewesen sein, gestern während des Abendvortrags oder während der nachfolgenden Zusammenkunft im Kamin zimmer den entsprechenden Raum unauffällig zu verlassen, sofern es sich so abgespielt hat.»
«Oder zwischen dem Vortrag und der Zusammenkunft. Da wäre es am wenigsten aufgefallen.» Lürmann hatte sich seit der vergangenen Nacht immer wieder mit diesen Möglichkeiten befaßt. «Es sei denn, jemand war von vornherein bei allen beiden Terminen nicht anwesend.»
«Ein Kandidat für den Anschlag ist meiner Ansicht nach Bebenhausen. Er war nicht bei der Zusammenkunft, und ihm wäre es zuzutrauen, den Stein zu lockern. Die Kraft dazu hätte er allemal.»
«Und wenn sich der Täter erst nach dem Zubettgehen aller auf den Weg gemacht hat?»
«Unter der Voraussetzung kann’s wirklich jeder und jede gewesen sein», was nicht sehr ermutigend klang.
Derweil waren sie etwa bis auf die Höhe des Grabes hinabgestiegen. Nun mußten sie nur noch einen Pfad durch den niedrigen Baumbewuchs und das undurchsichtige Buschwerk finden. Lürmann tastete sich weiter rechts vor; Glaser hingegen lief stur geradeaus und versank prompt bis zu den Knien in einer morastigen Lache, in der sich Schmelzwasser gesammelt hatte. Reaktionsschnell griff er nach einer freiliegenden Wurzel und konnte so verhindern, gänzlich das Gleichgewicht zu verlieren. Mit einiger Kraftanstrengung und einem wütenden Ausruf zog er sich aus dem Sumpf und war froh, daß keiner seiner Schuhe steckengeblieben war.
Ernst Lürmann erkundigte sich beiläufig, ob er ihm helfen könne.
«Meine Hose und meine Schuhe waren nicht billig, Herr Kollege!» Glaser gab ihm anscheinend die Schuld an seinem Mißgeschick.
Der konnte eine gewisse Schadenfreude nicht unterdrücken und probierte es mit Ironie: «Wir könnten uns für den nächsten Einsatz von den Polizeitauchern Schwimmflossen ausleihen.»
Doch die Bemerkung verärgerte Glaser nur noch mehr. An der Grabplatte angelangt, setzte er sich darauf, um die nassen Schuhe auszuziehen und sie angeekelt umzudrehen. Erdfarbenes Wasser lief heraus. «Wer ist denn für die Sicherheit im Babenburger Wald verantwortlich», schimpfte er, «die Kirche oder die Stadt? Ich werde eine Beschwerde einreichen, damit solche Löcher zugeschüttet werden und damit oberhalb des Abhangs das Material beseitigt wird, das mißbräuchlich heruntergeworfen werden kann.»
«Die Beschädigung des Grabes wird wahrscheinlich der Burgverwaltung zur Last fallen.» Lürmann bemühte sich um Sachlichkeit. Darauf bestand der Kollege Glaser ja auch immerzu.
Der herabgestoßene Steinbrocken war in kleinere und kleinste Teile zerbrochen. Dietmar Glaser, der seine Schuhe wieder zuband, sah mit eigenen Augen, daß Philipp Laubmann böse hätte verletzt werden können. «Wenn ich das richtig mitbekommen habe, dann waren Sie vor und nach Mitternacht in der Burgkapelle, um die Zugbrücke zu überwachen.»
«Wir beide, Philipp und ich», bestätigte Lürmann. «Vermutlich hat der Täter zu sehr auf Philipps Neugier spekuliert und geglaubt, er werde niemandem was von dem avisierten Treffen verraten. Das war ein Fehler des Täters.»
Dietmar Glaser hatte sehr wohl aus den Sätzen Lürmanns herausgehört, daß sich sein Kollege mit Laubmann duzte, was er nicht billigen mochte. Für einen Kriminalbe amten war Distanzverhalten opportun. «Das heißt», folgerte er, «der Täter konnte die Burg ungesehen weder verlassen noch betreten.»
«Mit unserer Anwesenheit in der Burgkapelle hat er nicht rechnen können.»
«Da Sie aber niemanden gestellt haben – lassen wir eine Komplizenschaft mal außen vor –, ist daraus nur eine Schlußfolgerung zu ziehen, nämlich daß der Täter von Anfang an einen anderen Weg gewählt hat.» Glaser
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