Laubmann 2 - Bärenzwinger
sie auch die Tradition der Bärenhaltung aufgegriffen, die also, abgesehen von ein paar Unterbrechungen, seit über hundert Jahren besteht. Die Besucher der Burg haben das immer gemocht.»
«Einnahmen aus dem Tourismus sind ein erwünschtes Zubrot, selbst für die Kirche. Ich erachte es nicht für falsch, daß Kulturgüter wie diese Burg für die Öffentlichkeit zugänglich bleiben.»
«An manchen Sommertagen ist auf der Babenburg jedenfalls der Bär los. Da geht’s hoch her. Das Gehege wird von den Leuten regelrecht umlagert, und besonders die Kinder rufen andauernd nach ‹Poldi› und ‹Dine›.»
«Die Namen kennt eben jedes Kind.»
«Eigentlich heißen unsere Bärinnen ja Leopolda und Leopoldine. Aber das scheint man vergessen zu haben.»
Der Kastellan war mit seiner Arbeit fertig. Noch einige prüfende Blicke, dann zog er sich mit Laubmann in den Bereich jenseits des großen Gitters und schließlich hinter die Stahltür zurück. Er schaltete überall die Lichter aus und schloß alles sorgfältig ab. Es war Zeit fürs Mittagessen. Hans Merten kündigte Laubmann an, daß seine Frau Sophia des Freitagsgebots wegen ein Fischessen vorbereitet habe. Eine gute Mahlzeit aus ihrer Küche versöhnte ihn meist mit ihr.
«Hoffentlich ohne Schwimmflossen», sagte Laubmann spöttisch, doch Merten konnte mit dieser Bemerkung überhaupt nichts anfangen.
***
Es regnete nicht, als sich Philipp Laubmann am Nachmittag zu Fuß auf den Weg in die Stadt hinunter machte. Zudem bestand keine Rutschgefahr, und er hatte Zeit. Zeit und Muße, seine Gedanken zu klären, ehe er in der Bibliothek der Theologischen Fakultät Nachforschungen anstellen wollte. ‹Die frische Luft wird mir guttun.›
Ganz frei fühlte er sich allerdings nicht; die Drohung eines immerzu möglichen zweiten Anschlags belastete ihn. Den ersten Stein hatte schon jemand geworfen. Laubmann war nicht eigentlich angsterfüllt, aber er bedauerte, daß er weder den Bergwald noch die durchscheinende Ansicht der Stadt unvoreingenommen genießen konnte.
Nachdem er den Wald hinter sich gelassen hatte und sich der Plan der Regnitz, welche die Bergstadt von der Inselstadt trennte, heller vor ihm ausbreitete, war ihm gleich wohler. «Plan» als Ausdruck für «Ebene» war wieder so ein veraltetes Wort, daß er sich auf einer Karteikarte notiert hatte, um es vor dem Vergessen zu bewahren.
Nahe der Kirche Sankt Jakob, an der ein mittelalterlicher Weg der Jakobspilger vorbeiführte, entschied Laubmann, genügend frische Luft geschnappt zu haben, und bestieg für den Rest des Wegs den wendigen Stadtbus der Linie 10, mit dem man sich durch die engen Straßen auf die Inselstadt chauffieren lassen konnte. Für den Rückweg beschloß er, sich ein Taxi zu leisten, um im Wald nicht der Dunkelheit ausgeliefert zu sein.
Die Theologische Fakultät bildete im wesentlichen ein Geviert aus barocken Gebäudetrakten, die ursprünglich für das ehemalige Jesuitenkolleg errichtet worden waren. Wie oft war er durch den Innenhof dieses Gevierts während seiner Universitätszeit bereits gegangen oder hatte dort unter dem Schwarznußbaum verweilt. Auf jeden Fall fühlte er sich hier sicherer als im Burgbereich oder am Marcus-Grab.
Wie gewohnt, betrat er am Eckturm-Eingang das Treppenhaus, stieg über die breite steinerne Wendeltreppe in den ersten Stock, entledigte sich seiner Winterjacke, des Schals, der Mütze ohne Bommel sowie der Handschuhe und schritt in das Vorzimmer zur Bibliothek. Sein eigenes universitäres Büro suchte er nicht auf, denn das würde ihm nur ein schlechtes Gewissen einbringen. Darin lagerte seine bei weitem unfertige Habilitationsschrift.
Im Vorraum zum Bibliothekssaal tat Sibylle Schmidt wie üblich ihren Dienst. Das blonde, leicht silbrig getönte Haar der Frau um die Dreißig war halblang und nach innen gefönt. Sie hatte schon gerüchteweise vom Mord an Professor Alfonso Forster gehört und ließ sich die Angelegenheit nun durch Laubmann bestätigen. Was man vom Doktor der Moraltheologie erfuhr, war immer zuverlässig die Wahrheit, meinte sie.
«Haben Sie Professor Forster kennengelernt?» forschte er.
Sie habe ihn nur kurz hier in der Bibliothek gesehen, das müsse circa zwei Wochen her sein. Sie könne jedoch herausfinden, was er entliehen habe. Die Ausleihe habe sich nämlich schwierig gestaltet.
«Professor Forster hat sich nur vorübergehend in Deutschland aufgehalten. Deshalb hatte er keinen Bibliotheksausweis. Unter Vorlage seines Reisepasses
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