Laubmann 2 - Bärenzwinger
ihren Taschenlampen hinein. Der untere Abschnitt der Wände war im türnahen Bereich leicht nach außen gewölbt, und die Sandsteinquader waren von Feuchtigkeit durchdrungen. Weiter oben verliefen die Seitenwände gerade und dichter aneinander und waren aus Ziegelsteinen errichtet. In einigen Metern Höhe waren noch die verrosteten Verankerungen einer Eisenleiter wahrzunehmen.
«Genau so habe ich mir das vorgestellt, aufgrund der Beschreibungen des Grafen und der Pläne. Was einmal der alte zugeschüttete Brunnenschacht war, wurde Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem vom Keller aus zugänglichen Schacht für Theaterzüge umgebaut. Wenn man in einem der Räume oben, genauer: auf einer Bühne, die Kulissen an Seilen hochgezogen hat, dann hat man zugleich deren Gegengewichte in diesen Schacht hinuntergelassen.»
«Wollen Sie ernsthaft behaupten, daß in der Babenburg ein profanes Theater untergebracht war?» Der Prälat fürchtete um die moralische Unversehrtheit der kirchlichen Akademie.
«Allerdings.»
«Und warum weiß niemand was davon?»
«Weil nach 1905 alles grundlegend umgestaltet wurde. Die Theatereinrichtungen wurden herausgenommen, und die Anlage wurde nach dem damaligen Geschmack des Eigentümers in eine historistische Ritterburg umgewandelt. Dazu paßte auch die Bärenhaltung.»
Nachdem Glöcklein ebenfalls ausgiebig in den Schacht geblickt hatte, entfaltete Laubmann im davorliegenden Kellerraum noch einmal die älteren und neueren Baupläne. «Wir stehen direkt unter dem Hauptgebäude der Burg. Gleich über uns befinden sich der Gang zum Besprechungszimmer sowie das Zimmer selbst, also der sogenannte ‹Bärenzwinger›, worin Forster getötet wurde. Ungefähr in dieser Richtung» – Laubmann wies nach links – «haben wir den Konferenzsaal. Der war, in etwas verkleinerter Form, ursprünglich der Zuschauerraum des Theaters. Und im Bereich des Besprechungszimmers und seines Zugangs muß die höhergelegene Bühne gewesen sein. Deshalb führt im Konferenzsaal noch immer eine Treppe hinauf. Auf den neueren Plänen wurde der nach dem ersten Umbau verbliebene Rest des Schachts im Hochparterre nur mehr als stärkere Wand eingezeichnet. Bloß der ehemalige Brunnenschacht im Keller ist darauf als solcher erkennbar.»
Ernst Lürmann war zwar sehr erstaunt, konnte seine Skepsis aber nicht verbergen. «Soll das heißen, daß der Täter über diesen Kellerschacht entkommen ist? Wie soll das funktioniert haben bei den kahlen Wänden und bei der Höhe? Außerdem war hier unten die Tür zum Schacht verschlossen.»
«Du hast schon recht mit deinen Zweifeln. Ganz so einfach ist die Lösung nämlich nicht, obwohl ich vermute, daß der Täter von dem Schacht weiß. Wenn meine Theorie jedoch stimmt», verkündete Laubmann selbstsicher, «werden wir seine wahre Fluchtmöglichkeit bald aufgedeckt haben. Dazu müssen wir uns freilich nach oben begeben.»
Philipp Laubmann verschloß die Schacht-Tür, und sie machten sich auf den Rückweg. Lürmann und Glöcklein waren mißgelaunt und neugierig zugleich, weil sie Laubmanns Vorhaben noch nicht wirklich durchschauten. Nach dem Ausschalten des Kellerlichts verwendeten sie wieder ihre Taschenlampen. Leise stiegen sie die Steintreppe empor.
«Eines der letzten Theaterstücke, die im Burg-Theater gegeben wurden, war übrigens ‹Don Juan›», stichelte Laubmann flüsternd gegen Glöcklein, der Unmoral wegen.
Der Moraltheologe führte sie zurück zu den Gästezimmern im Hochparterre des Palas und im dortigen Quergang nach links auf die schwere Eichentür zu, deren Schlüssel Kommissar Glaser nach der erkennungsdienstlichen Untersuchung von Alfonso Forsters Gästezimmer konfisziert hatte. An jener Zimmertür, an der sie vorbeikamen, waren die polizeilichen Siegel intakt. Niemand hatte Forsters Zimmer seit dem frühen Montagmorgen mehr betreten. Laubmanns Ziel war indes der ungenutzte Trakt hinter der altertümlichen Eichentür.
Sie machten diese Tür bloß einen Spaltbreit auf, möglichst geräuschlos, schlüpften nacheinander hindurch und schlossen sie sofort wieder. Nur die Regenjacken hatten geraschelt. Sie gingen, abermals ihre Taschenlampen benutzend, etliche Meter den dahinterliegenden Korridor entlang, wobei Laubmann seine Schritte zählte. Etwa auf halber Länge zwischen der Eichentür und der Außenmauer, an welcher der Korridor endete, blieben sie auf sein Handzeichen hin stehen. Er drehte sich zur linken Seite und stellte sich dort unmittelbar vor die Wand des
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