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Lauf des Lebens

Lauf des Lebens

Titel: Lauf des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: LINDA HOWARD
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jemand den Lichtschalter betätigt und einen dunklen Raum erhellt, wusste sie, dass sie Blake und nicht Scott vor sich hatte. Scott hatte sie verletzt. Blake nicht, und er würde es niemals tun. Das Geräusch, das sie hörte, war sein Schluchzen.
    Er weinte. Auch er konnte seine Freudentränen nicht zurückhalten. Die heftigen Schluchzer, die aus ihm hervorbrachen, linderten abrupt seine zweijährigen Schmerzen und Qualen. „Mein Gott“, sagte er mit gebrochener Stimme. „Mein Gott.“
    In ihrem Inneren schien ein Damm zu brechen. Der Schmerz, den sie jahrelang unter Verschluss gehalten hatte, weil es niemanden gab, der sie beim Weinen getröstet hätte, stieg plötzlich brennend in ihrem Hals hoch und brach in einem gequälten Schrei hervor.
    Ihr Körper bebte vor lauter Schluchzern, ihre großen bernsteinfarbenen Augen standen unter Wasser. Zum ersten Mal in ihrem Leben wurde sie von jemandem in den Armen gehalten, während sie weinte, und das war zu viel für sie. Sie konnte die bittersüße Mischung aus Schmerz und Freude nicht ertragen, und gleichzeitig hatte sie das Gefühl, dass sich in ihrem Inneren irgendetwas grundlegend verändert hatte. Der einfache Umstand, dass sie beide zusammen geweint hatten, hatte die Mauer eingerissen, die sie vom Rest der Welt trennte. Sie hatte bislang nur an der sicheren Oberfläche des Lebens gelebt, hatte sich keine tiefer gehenden Gefühle erlaubt, niemanden an sich herangelassen und sich nicht hinter ihre Maske schauen lassen, denn sie war so stark verletzt worden, dass sie fürchtete, es könnte jederzeit wieder passieren. Sie hatte ausgeklügelte Verteidigungsmechanismen entwickelt, aber irgendwie war es Blake gelungen, diese auszuschalten.
    Blake war anders als alle anderen Männer, die sie kannte. Er konnt e lieben. Er war gleichzeitig ein unbekümmerter Draufgänger und ein knallharter Geschäftsmann. Und: Er brauchte sie. Andere Patienten hatten sie auch gebraucht, aber lediglich als Therapeutin. Blake brauchte sie als Mensch, denn nur ihr – mit ihrer Persönlichkeit und Willensstärke – war es gelungen, ihn überhaupt zugänglich zu machen für eine Therapie. Dione konnte sich nicht erinnern, je zuvor in dieser Weise gebraucht worden zu sein.
    Eng kuschelte sie sich an ihn. Sie staunte über die Wärme, die sich in ihrem Inneren ausbreitete und den gefrorenen Schmerz langsam auftaute. Sie hätte gerne immer weiter geweint, denn sie war gleichermaßen verängstigt, verwirrt und entzückt über ihre neue Freiheit, die es ihr erlaubte, berührt zu werden und auch selber zu berühren. Mit der Hand strich sie ihm übers Haar. Ihre Finger verschwanden in den seidigen Wogen, während seine Tränen langsam versiegten und er süß und schlaff an ihrem Körper lehnte.
    Er hob seinen Kopf, um sie anzuschauen. Er schämte sich nicht für die Tränen, die ihm übers Gesicht gelaufen waren und noch immer in seinen blauen Augen glitzerten. Ganz leicht rieb er seine nasse Wange an ihrer – es war ein sanftes Streicheln, das die feuchten Spuren ihrer gemeinsamen Freude und ihres Schmerzes miteinander vermengte.
    Dann küsste er sie.
    Es war ein langsamer, staunender Kuss, eine suchende, aber nicht drängende Berührung, ein hauchzartes Kosten ihrer Lippen, das frei war von allen aggressiven männlichen Bedürfnissen. Sie erschauderte in seinen Armen. Automatisch wanderten ihre Hände zu seinen Schultern, um ihn wegzustoßen, falls er ihre immer noch stark bewachte Intimitätsgrenze überschreiten würde. Aber er versuchte gar nicht, den Kuss zu verlängern. Er löste seinen Mund von ihrem und berührte stattdessen ihre Nase mit seiner eigenen, wobei er mit seinem Kopf eine leichte, kreisende Bewegung machte.
    Nach einer Weile zog er sich sanft zurück und ließ einen neugierigen Blick über ihr Gesicht schweifen. Dione konnte sich nicht von seinen Augen lösen, so fasziniert war sie von dem tiefen Blau seiner Iris, das sich immer weiter auszudehnen schien. Woran dachte er? Was war das für ein Schatten, der über sein Gesicht wanderte? Was war die Ursache für die plötzliche Verzweiflung, die sie eben wie ein Blitz durchzuckt hatte? Blakes Blick ruhte auf den weichen, zitternden Rundungen ihrer Lippen, dann wanderte er höher, und seine Augen tauchten in ihre ein. Sie beide waren so nahe beieinander, dass Dione ihr Spiegelbild in seinen Augen erkennen konnte – und sie wusste, dass es umgekehrt genauso war.
    „Deine Augen sind wie geschmolzenes Gold“, flüsterte er, und

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