Lauf des Lebens
war ostentativ damit beschäftigt, ihre weißen Riemchensandalen von den Zehen herunterbaumeln zu lassen. Ohne von ihren Füßen aufzublicken, fragte sie beiläufig: „Was ist los mit Blake? Er ist wie eine Hornisse.“
Dione zuckte mit den Achseln. Sie dachte nicht im Traum daran, Serena von den folgenreichen Küssen zu erzählen. Stattdessen berichtete sie von den ermutigenden Neuigkeiten, die Blake aus irgendeinem Grund überhaupt nicht erwähnt hatte: „Er hat heute auf seinen Beinen gestanden. Ich weiß nicht, warum er so griesgrämig ist, er müsste eigentlich in Festtagslaune sein.“
Serena begann zu strahlen, ihr hübsches Gesicht wurde rot vor Freude.
„Er hat gestanden?“, schrie sie, ließ ihre Sandale auf den Fußboden fallen und setzte sich mit einem Ruck aufrecht hin. „Er hat tatsächlich gestanden?“
„Er hat seine Beine mit seinem Körpergewicht belastet, ja“, präzisierte Dione „Und er hat seine Beine dabei gespürt.“
„Aber das ist doch großartig! Warum hat er das nicht erzählt?“
Wieder zuckte Dione die Achseln.
Serena machte ein verlegenes Gesicht.„Ich weiß. Sie denken, dass ich zu viel Wirbel um ihn veranstalte. Das stimmt. Ich gebe es zu. Ich … Es tut mir leid, wie ich Sie behandelt habe, als Sie hier angekommen sind. Ich habe nicht geglaubt, dass Sie ihm helfen können, und wollte nicht, dass er falsche Hoffnungen in Sie setzt, nur um am Ende wieder enttäuscht zu werden. Doch selbst wenn es tatsächlich nicht klappen sollte mit dem Laufen, glaube ich inzwischen, dass ihm die Therapie guttut. Er hat zugenommen, er sieht endlich wieder gesund aus.“
Überrumpelt von dieser Entschuldigung, wusste Dione nicht, was sie außer eines höflichen „Ist schon gut!“ sagen sollte.
„Nein, es ist noch nicht gut. Richard redet kaum noch mit mir, und ich kann es ihm nicht einmal verübeln. Seit Blakes Unfall vor zwei Jahren ist Richard für mich nahezu unsichtbar gewesen. Woher er seine unglaubliche Geduld mit mir genommen hat, weiß ich nicht. Aber jetzt komme ich nicht mehr an ihn heran, und das ist allein meine Schuld. Trotzdem verhalte ich mich immer noch völlig irrational, sobald es um Blake geht. Er ist mein Ein und Alles, mein Zuhause, meine Sicherheit.“
„Vielleicht möchte Richard, dass Sie da etwas mehr differenzieren“, murmelte Dione, die sich nicht in eine Diskussion über Serenas Eheprobleme hineinziehen lassen wollte. Sie hatte nicht vergessen, dass Serena Richard verdächtigte, eine andere Frau, nämlich sie, zu treffen, und fand es deshalb nicht geschickt, sich allzu sehr einzumischen. Sie mochte Richard sehr, und Serenas Verhalten hatte sich seit dem schwierigen Auftakt in bemerkenswerter Weise verbessert, aber sie wollte nicht über Richard diskutieren, als würde sie ihn besser kennen, als sie es in Wirklichkeit tat.
„Natürlich möchte er das, ich weiß. Das Problem ist, dass Blake als Mann einfach schwer zu überbieten ist. Er war der perfekte große Bruder“, seufzte sie, „stark, liebevoll, verständnisvoll. Als unsere Mutter starb, ist er eine richtige Festung für mich geworden. Manchmal denke ich, dass ich auf der Stelle sterben würde, wenn Blake irgendetwas passiert.“
„Das wäre nicht sehr rücksichtsvoll“, bemerkte Dione. Serena blickte sie forschend an, dann lachte sie.
„Nein, das wäre es wohl tatsächlich nicht.“ Als Dione keine Anstalten machte, etwas zu erwidern, fuhr sie fort: „Ich war eifersüchtig auf Sie. Seit dem Unfall war ich fast ununterbrochen mit Blake zusammen, und plötzlich kamen Sie und haben mir verboten, ihn zu sehen, außer zu bestimmten, von Ihne n festgelegten Zeiten. Ich habe geschäumt vor Wut! Und obendrein war Blake von Anfang an so mit seiner Therapie beschäftigt, dass er mich nicht einmal mehr beachtet hat, wenn ich bei ihm war. Er war plötzlich so eng mit Ihnen zusammen, so von Ihnen in Beschlag genommen. Und Sie haben ihn dazu gebracht, Dinge zu tun, die er bei früheren Therapeuten nicht einmal gedanklich an sich herangelassen hat.“
Dione rutschte unbehaglich auf ihrem Stuhl herum. Sie fürchtete, Serena könnte wieder auf Richard zu sprechen kommen. Aber da sie das ohnehin nicht verhindern konnte, konnte sie ebenso gut der Dinge harren. Sie hob ihren Kopf und warf Serena einen bedauernden Blick aus ihren bernsteinfarbenen Augen zu.
„Ich weiß, wie Sie sich gefühlt haben. Das tut mir leid, aber ich konnte es nicht ändern. Blake hatte für mich oberste Priorität. Sie haben
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