Lauf des Lebens
gestört, und das konnte ich nicht zulassen.“
Serena zog ihre Augenbrauen hoch und ähnelte dabei ihrem Bruder so sehr, dass Dione sie verblüfft anstarrte. „Sie haben vollkommen recht“, sagte Serena mit fester Stimme. „Sie haben nur Ihren Job gemacht. Ich habe ungefähr zwei Wochen gebraucht, um erste positive Veränderungen bei Blake festzustellen, und musste zugeben, dass ich mich allein um meinetwille n über Sie geärgert habe. Mit Blake hatte das gar nichts zu tun. Und dann ist mir klar geworden, dass ich mich um seinetwillen nicht länger wie eine verzogene Göre aufführen durfte. Es tut mir leid, Miss Kelley. Oder darf ich Dione und Du sagen? Ich fände es schön, wenn wir noch mal von vorne anfangen könnten.“
Wieder war Dione überrumpelt. Sie fragte sich kurz, ob Serena mit ihrer Entschuldigung irgendwelche Hintergedanken verfolgte, aber dann beschloss sie, ihr zu glauben. Und selbst wenn – Dione war nur ein temporärer Gast im Haus. Serenas Worte würden nur bis zum Ende der Therapie Bedeutung für sie haben. Lebenslange Freundschaft kannte Dione ohnehin nicht, da sie andere Menschen gar nicht dicht genug an sich heranließ. Selbst Blake – von dem sie nicht wusste, wie nah sie ihm momentan stand – würde sie nach der Therapie wohl nicht mehr sehen, ganz gleich, wie gut sie sich dann kennen würden. Normalerweise hielt sie keinen Kontakt zu ihren ehemaligen Patienten, obwohl sie von einigen hin und wieder noch Weihnachtsgrüße bekam.
„Wenn du möchtest, gerne“, sagte Dione ruhig. „Aber eine Entschuldigung wäre wirklich nicht nötig gewesen.“
„Das habe ich nicht di r zuliebe gesagt, sondern mi r zuliebe“, beharrte Serena, und vielleicht war es tatsächlich so. Sie war Blakes Schwester und ihm ziemlich ähnlich. Auch Blake machte vor unangenehmen Dingen keinen Rückzieher.
Dione war müde von den emotionalen Aufwallungen des Tages und schaute vor dem Zubettgehen nicht noch einmal bei Blake vorbei. Wahrscheinlich lag er schlecht gelaunt wach und wartete nur darauf, dass sie ihren Kopf zur Tür hereinsteckte, um ihn ihr abzureißen. Was auch immer ihn beschäftigte, sie würde es schon früh genug am nächsten Morgen erfahren. Kurz darauf schlief sie bereits tief, fest und traumlos.
Als sie hochschreckte, weil jemand ihren Namen rief, hatte sie das dumpfe Gefühl, dass sie nicht gleich beim ersten Rufen wach geworden war. Sie kletterte aus dem Bett, als sie ihren Namen erneut hörte. „Dione!“
Es war Blake, und seine Stimme klang so, als hätte er Schmerzen. Sie rannte in sein Zimmer und näherte sich dem Bett. Er krümmte sich und versuchte, sich aufzusetzen. „Was hast du?“,fragte sie. Mit ihren Händen auf seinen nackten Schultern versuchte sie, ihn zu entspannen.
„Krämpfe“, stöhnte er.
Natürlich! Daran hätte sie gleich denken können! Er hatte sich gestern zu sehr verausgabt und bezahlte nun den Preis dafür. Sie ließ ihre Hände an seinen Beinen hinabgleiten und fand die verhärteten Muskelstränge sofort. Wortlos kletterte sie zu ihm aufs Bett und begann mit energischen Bewegungen, die verkrampften Partien zu massieren. Zuerst entkrampfte sich das eine Bein, dann das andere. Erleichtert seufzte sie auf. Dann setzte sie ihre Massage noch eine Weile an den Waden fort, denn sie wusste, dass Krämpfe manchmal zurückkehrten. Ihre Finger spürten, wie seine Muskeln langsam warm wurden. Seine Haut fühlte sich rau an durch die starke Beinbehaarung. Sie krempelte seine Pyjamahose bis über die Knie hoch und massierte weiter. Vielleicht würde er bei diesen beruhigenden Berührungen sogar wieder einschlafen …
Doch plötzlich setzte er sich mit einem Ruck auf und schob ihre Hände von seinen Beinen. „Das reicht“, sagte er schroff. „Ich weiß nicht, was dich antörnt bei der Behandlung von Krüppeln, aber such dir gefälligst andere Beine für deine Spielchen. Vielleicht versuchst du es mal bei Richard. Der kann dir sicherlich mehr bieten als ich.“
Vor Verblüffung blieb Dione der Mund offen stehen. Wie konnte er es wagen, so etwas zu sagen? Als sie auf sein Bett geklettert war, hatte sie ihr Nachthemd hochgerafft, um mehr Beinfreiheit zu haben. Jetzt zog sie es schnell über ihre langen Beine. „Offensichtlich hast du Spaß am Motzen. Verdammt, was ist los mit dir? Du weißt genau, dass ich nichts mit Richard habe, und ich bin es leid, dass du ihn mir ständig anpreist. Nur damit es klar ist: D u hast mic h gerufen, nicht umgekehrt! Ich bin hier
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