Lauf des Lebens
gesagt, erstaunt gewesen. Du hast in den letzten zwei Jahren eine Menge Belastungen gehabt, und du warst in furchtbarer körperlicher Verfassung.“
„Aber jetzt bin ich nicht mehr in furchtbarer körperlicher Verfassung“, bemerkte er müde.
Nein, das war er nicht. Dione betrachtete Blakes liegenden Körper. Er trug nichts außer einer Pyjamahose. Das Oberteil zog er schon seit einigen Wochen nicht mehr über. Er war immer noch schlank, aber unter seiner Haut hatte sich jetzt eine harte Muskelschicht gebildet. Seine Gewichtszunahme hatte selbst vor den Beinen nicht Halt gemacht. Und obwohl sie noch bewegungslos waren, hatten auch sie dank des rigorosen Krafttrainings ein paar Muskeln entwickelt. Von Natur aus war Blake ein athletischer Typ, wohl deshalb hatte sein Körper sofort auf das Training angesprochen. Auch an den Armen, den Schultern und seiner Brust ließen sich die Trainingserfolge ablesen. Und die vielen, im sonnigen Pool verbrachten Übungsstunden hatten seiner Haut einen bronzenen Schimmer verliehen. Alles in allem sah er unglaublich gesund und frisch aus.
Was konnte sie ihm sagen? Sie konnte ihm schlecht versichern, dass sein Körper und Geist genesen und er wieder völlig normal reagieren würde, denn schließlich war sie selbst auch noch nicht genesen. Sie hätte nicht einmal zu sagen vermocht, ob sie wirklich genesen wollte. Schon möglich, dass ihr durch ihre jetzige Lebensweise eine Menge menschlicher Wärme entging, aber dafür ersparte sie sich auch eine Menge menschlicher Grausamkeiten. Bis zu seinem Unfall hatte Blake auf der Sonnenseite des Lebens gestanden. Er hatte geliebt und ist geliebt worden, wahrscheinlich von so vielen Frauen, dass er sich gar nicht mehr an alle erinnern konnte. Ohne Sex war das Leben für ihn nicht vollkommen. Für sie hingegen war das Leben ohne Sex sehr viel sicherer. Wie sollte sie ihm in einer Sache Mut machen, an die sie selbst nicht glaubte?
Schließlich sagte sie vorsichtig: „Dir geht es besser, das stimmt. Aber du bist noch weit von deiner früheren Topform entfernt. Der Körper besteht aus vielen ineinandergreifenden, sich ergänzenden Systemen. Wenn ein Teil davon beschädigt ist, kooperieren die anderen Teile, um den Heilungsprozess voranzutreiben. Bei der Therapie hast du dich körperlich und geistig bislang ganz auf den Muskelaufbau konzentriert. Der Muskelaufbau ist eine wichtige Etappe der Rehabilitation, und wenn du so weit fortgeschritten bist, dass du dafür nicht mehr all deine Konzentration brauchst, dann kannst du an sexuelle Reflexe denken. Lass die Dinge in ihrer natürlichen Reihenfolge geschehen.“ Sie musterte ihn noch eine Weile, dann wandte sie ihren Kopf ab. „Ich schätze, du hast bislang erst etwa fünfundsechzig Prozent deiner früheren Kraft erreicht. Du erwartest zu viel.“
„Ich erwarte das, was jeder normale Mann von seinem Leben erwartet“, erwiderte Blake barsch. „Damals, als du mir versprochen hast, mich wieder auf die Beine zu bringen, da bist du vor Selbstsicherheit geplatzt. Aber bei dieser Sache bist du dir nicht so sicher, oder?“
„Ich bin keine Sexualtherapeutin“, sagte sie kurz und bündig. „Aber ich habe gesunden Menschenverstand, und ich versuche, ihn zu benutzen. Rein körperlich gesehen gibt es nichts, was dagegen spricht, dass du wieder Sex haben kannst. Deshalb: Hör jetzt auf, dir Sorgen zu machen, und konzentriere dich lieber aufs Laufenlernen. Die Natur wird sich um den Rest kümmern.“
„Hör auf, dir Sorgen zu machen“, murmelte er. „Meine Güte, wir reden hier doch nicht vom Wetter! Wenn ich kein Mann mehr sein kann, warum sollte ich dann noch leben? Ich rede ja nicht nur von Sex. Ich rede von Heirat und Kindern. Und auch wenn ich bislang noch keine Frau heiraten wollte, ich habe immer davon geträumt, eines Tages eine Familie zu haben. Kannst du das nicht nachvollziehen? Wolltest du nie einen Mann und Kinder haben?“
Dione zuckte zusammen und rückte von ihm ab. Blake besaß eine unheimliche Begabung, sie dort zu treffen, wo sie am verletzlichsten war. Bevor sie sich zurückhalten konnte, platzte es aus ihr heraus: „Ich wollte immer Kinder haben. Und ich war verheiratet. Es hat nur nicht funktioniert.“
Seine Brust hob und senkte sich, als er einmal tief durchatmete. Sie spürte, wie sein Blick in der Dunkelheit nach ihrem Gesicht suchte. Sehr wahrscheinlich konnte er nicht mehr als ihre Umrisse erkennen, denn sie saß außerhalb des schwachen Lichtkegels, der durch das
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