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Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf! Kostenlos Bücher Online Lesen
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sehe es nie kommen. Genau wie gestern abend.«
    »Gestern abend? Ach so. Du glaubst, ich hätte dir etwas in deinen Drink gemischt?«
    »Etwa nicht?«
    »Nein.«
    »Ach, mir wurde ganz von selbst plötzlich speiübel und so elend, daß ich ins Bett getragen werden mußte?«
    »Es war nicht das erste Mal.«

    »Und?«
    »Du bist sehr krank, Jane. Der Tag war aufregend, um nicht zu sagen dramatisch. Denk doch mal nach. Du bist mit einem Messer auf unsere Haushälterin losgegangen; du hast Leute zum Essen eingeladen, an die du dich überhaupt nicht erinnern konntest; du mußtest dich anziehen, zurechtmachen; du mußtest lügen. Glaubst du nicht, daß dich das alles ungeheure Anstrengung gekostet hat? Glaubst du nicht, daß du körperlich total herunter bist und die Belastungen des gestrigen Tages einfach ihren Tribut forderten?«
    Jane schüttelte den Kopf. Nein, sie glaubte es nicht. Oder doch? »Du bist so verdammt überzeugend«, sagte sie.
    »Wenn ich überzeugend bin, dann, weil ich die Wahrheit spreche. Ich habe dir nichts ins Glas getan, Jane. Ich schwöre es.«
    Jane biß sich so fest auf die Unterlippe, daß die Haut platzte, und sie Blut schmeckte. »Erzähl mir jetzt endlich, was an dem Tag passiert ist, an dem ich verschwand. Sag mir, was es mit dem Geld auf sich hat. Und mit dem Blut.«
    »Vielleicht solltest du dich setzen.«
    »Ich will mich nicht setzen.« Wieder eine Lüge, erkannte sie, sobald sie die Worte ausgesprochen hatte. Sie hatte das dringende Bedürfnis, sich zu setzen. Sie wußte nicht, wie lange sie noch fähig sein würde, aufrecht zu stehen.
    »Bitte, laß dir doch helfen.« Michael kam einen Schritt auf sie zu. Sie fuhr zurück, prallte gegen einen Stuhl und fiel auf die Knie. Michael war sofort bei ihr, umfaßte ihre Arme, versuchte sie hochzuziehen, auf einen Stuhl.
    »Rühr mich nicht an!«
    »Jane, um Gottes willen. Glaubst du denn, ich habe eine Spritze im Ärmel versteckt.«
    »Es wäre nicht das erste Mal«, äffte sie ihn nach.
    Er sprang auf und kehrte alle seine Taschen von innen nach außen. »Da! Siehst du? Nichts.« Er zog sein Jackett aus und warf
es über den nächsten Stuhl. »Schau, nirgends etwas versteckt. Also? Ich bin auch bereit, mich ganz auszuziehen, wenn dich das beruhigt.«
    »Ich möchte nur, daß du mir endlich die Wahrheit sagst.«
    Er sagte lange nichts. Jane ließ sich auf den hinter ihr stehenden Stuhl sinken.
    »Bitte glaub mir, Jane, wenn ich dir nicht die ganze Wahrheit gesagt habe, dann nur, weil ich dachte, es wäre in deinem Interesse. Hätte ich gewußt, daß du von dem Blut und dem Geld weißt, dann hätte ich wahrscheinlich alles anders gemacht. Mein Gott«, sagte er kopfschüttelnd, »kein Wunder, daß du so verängstigt und mißtrauisch bist. Mir wird jetzt so vieles klar. Ich kann verstehen, warum du mir gegenüber die ganze Zeit so argwöhnisch warst.«
    »Du gibst also zu, daß du mich belogen hast?«
    Michael zog sich den Stuhl ihr gegenüber heraus und setzte sich. »Ich wollte dir Kummer ersparen, Jane. Ich hoffte, deine Erinnerungen würden von selbst zurückkehren, sobald du fähig seist, der Realität ins Auge zu sehen. Ich wollte nicht der sein, der dir alles wieder ins Gedächtnis ruft. Vertrau mir, Jane. Ich wollte dir nicht weh tun.«
    »Dann erzähl mir jetzt alles.«
    »Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll.«
    »Ist es so schwierig?«
    Er nickte.
    »Sag mir alles«, beharrte sie, ihr Ton eine Mischung aus Ungeduld und Furcht.
    »Ich muß mindestens ein Jahr zurückgehen«, begann er und hielt einen Moment inne. »Bis zu dem Unfall, bei dem deine Mutter ums Leben kam.«
    Jane merkte, daß sie den Atem anhielt.
    »Du hast sehr an deiner Mutter gehangen«, setzte er von neuem an. »Du konntest ihren Tod nicht akzeptieren. Du warst
voller Zorn und Bitterkeit. Du warst immer schon aufbrausend, daran hast du dich ja schon erinnern können, aber nach dem Unfall neigtest du noch viel stärker zu heftigen Ausbrüchen. Nichts Ernstes«, versicherte er hastig. »Du hast Teller zerschmissen, Haarbürsten durchs Zimmer geschleudert; solche Dinge. Ich wollte dich überreden, eine Therapie zu machen, aber davon wolltest du nichts wissen. Du sagtest, du könntest mit deinem Schmerz allein fertig werden, und basta. Ich insistierte nicht. Ich beschloß, abzuwarten und Geduld zu haben. Und nach einer Weile wurde es tatsächlich besser. Du schienst wieder gelassener zu werden. Wir nahmen unser normales Leben wieder auf. Wir gingen wieder aus, trafen

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