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Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf! Kostenlos Bücher Online Lesen
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uns mit Freunden, gaben Einladungen. Ungefähr sechs Monate lang sah es aus, als würde alles wieder in Ordnung kommen.«
    »Und dann?«
    Michael schluckte. »Je näher der Jahrestag des Unfalls rückte, desto erregter wurdest du. Du warst wie besessen, konntest von nichts anderem sprechen als von dem Unfall, maltest dir immer wieder alles in schrecklichen Einzelheiten aus. Du hast dich fast wahnsinnig gemacht. Es war beinahe so, als wäre der Unfall gerade erst geschehen. Du konntest nicht schlafen, und wenn du mal schliefst, hattest du furchtbare Alpträume. Du konntest dich nicht konzentrieren. Du quältest dich mit Schuldgefühlen. Das Schuldgefühl des Überlebenden, würde man es in Büchern vermutlich nennen.« Er sah sich suchend im Zimmer um, offenkundig nicht sicher, wie er fortfahren sollte.
    »Was meinst du mit Schuldgefühl des Überlebenden?« fragte Jane.
    »Dann wolltest du auf den Friedhof«, sagte er, ohne auf ihre Frage einzugehen. Sein Blick kehrte langsam zu ihr zurück. »Ich versuchte, dich davon abzubringen. Es war ein sehr kalter Tag, viel zu kalt für die Jahreszeit, und du warst so elend, so niedergedrückter Stimmung, daß ich dich nicht allein gehen lassen
wollte. Du hattest die ganze Nacht nicht geschlafen; du hattest seit Tagen kaum etwas gegessen. Du warst wirklich kurz vor einem Zusammenbruch.« Er schwieg einen Moment. »Ich bat dich, wenigstens bis zum Wochenende zu warten. Dann hätte ich mit dir gehen können. Dann wärst du nicht allein gewesen. Aber du wolltest nicht auf mich hören. Du sagtest, du wärst lieber allein, du wolltest nicht bis zum Wochenende warten, dies sei der Jahrestag des Todes deiner Mutter und an diesem Tag müßtest du gehen. Schluß, aus, keine weitere Debatte. Ich schlug vor, meine Termine abzusagen, aber das machte dich nur wütend. >Ich schaff das schon allein<, hast du mich angeschrien. >Ich bin kein kleines Kind, das du an die Hand nehmen mußt!‹ Was hätte ich da noch tun können? Ich fuhr ins Krankenhaus. Ich wollte nicht, aber ich hatte ja keine Wahl. Ich fuhr ins Krankenhaus, und du fuhrst zum Friedhof. Ich rief im Lauf des Morgens ein paarmal an, um zu sehen, ob du wieder gut nach Hause gekommen warst, aber ich erreichte dich nie. Ich begann, unruhig zu werden. Dann rief Carole bei mir an.«
    »Carole Bishop?«
    »Ja. Sie war sehr erregt. Sie sagte, sie hätte dich vorfahren sehen und sei hinübergegangen, um dich etwas zu fragen, und du seist völlig außer dir gewesen. Du hast nicht ein Wort mit ihr gesprochen. Sie sagte, sie hätte den Eindruck gehabt, du hättest gar nicht sprechen können, so außer dir warst du. Als sie dich beruhigen wollte, hast du sie einfach weggestoßen und bist ins Haus gerannt. Sie war natürlich sehr beunruhigt über dein Verhalten und rief mich deshalb im Krankenhaus an. Daraufhin bin ich sofort nach Hause gefahren.
    Als ich ankam - ich bin gefahren wie der Teufel, ich habe bestimmt nicht länger als eine Viertelstunde gebraucht -, warst du im Schlafzimmer beim Packen. Du hattest nicht einmal deinen Mantel ausgezogen. Ich wollte mit dir reden und fragte dich, was passiert sei, aber du hast mir gar nicht geantwortet. Du warst
völlig hysterisch. Du hast mich angebrüllt und nach mir geschlagen. Ich habe dich festgehalten, vielleicht auch geschüttelt. Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur, daß ich unbedingt wissen wollte, was eigentlich passiert war. Aber du warst wie wahnsinnig. Du müßtest weg, hast du geschrien, das wäre der größte Gefallen, den du mir tun könntest. Du wärst nur eine Last für mich und würdest mich am Ende genauso kaputtmachen wie alles andere, was du je geliebt hast.«
    Michael schüttelte den Kopf, als könnte er das alles auch jetzt noch nicht begreifen.
    »Aber warum sollte ich so was sagen?«
    Michael senkte den Kopf.
    »Vielleicht sollten wir uns fürs erste darauf beschränken, was geschehen ist, und uns das Warum für später aufheben«, schlug er mit leiser Stimme vor.
    »Warum habe ich gesagt, ich würde dich genauso kaputtmachen wie alles andere, was ich je geliebt habe?« beharrte Jane.
    Michaels Gesicht spannte sich. Als er endlich sprach, klang seine Stimme heiser, wie erstickt. »Nach dem Unfall warst du lange Zeit von deinem Schmerz völlig überwältigt. Wie gelähmt. Du hast Dinge getan, die überhaupt nicht deine Art waren. Ich meine jetzt nicht die Wutanfälle und die Temperamentsausbrüche«, fügte er erklärend hinzu und schwieg dann.
    »Was meinst du

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