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Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf! Kostenlos Bücher Online Lesen
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Grube, und vor ihm wiegten sich Kobras mit hochaufgerichteten Vorderleibern und drohend entblößten Giftzähnen. Als Jane sah, daß sie ihr Kind angreifen wollten, stürzte sie sich in die Grube hinunter, direkt auf die Schlangen.
    »Nein!« schrie sie so laut, daß Michael erwachte. Er nahm sie sofort in die Arme und begann, sie sachte zu wiegen.

    »Es ist ja gut«, sagte er leise und beschwichtigend. »Es ist ja gut. Es war nur ein Traum.«
    Jane sagte nichts. Die sachte Wiegebewegung, mit der Michael sie zu beruhigen suchte, machte das Bild der Schlangen, die sich in der Grube gewiegt hatten, nur noch lebendiger.
    »Möchtest du darüber sprechen?«
    Jane schüttelte den Kopf. Was gab es da groß zu sagen? Sie hatte ihre Tochter verloren und in einem Grab voller Giftschlangen wiedergefunden. Aber das war nicht alles, erkannte Jane. Sie beugte sich vor und stützte die Arme auf die Knie. Da war noch etwas gewesen.
    »Ich hole deine Tabletten«, sagte Michael. Er stand auf, um ins Bad zu gehen.
    Da war noch etwas gewesen. Aber was?
    Jane bemühte sich, die Traumbilder festzuhalten, ehe sie verblaßten. Im Kaufhaus fing sie an, dachte weiter zu dem Gespräch mit der Verkäuferin, hörte wieder ihren Protest, daß das Kleid schon vor sechs Monaten gekauft worden sei. Sechs Monate, dachte Jane. Was ist daran so wichtig?
    Plötzlich fiel ihr die Frau auf der Treppe vor dem Juweliergeschäft in der Newbury Street ein. Anne Halloren-Gimblet sagte sie sich stumm vor. Anne Halloren-Gimblet hatte etwas von sechs Monaten gesagt. Was war es gewesen?
    »Hier. Nimm sie.« Michael hielt ihr zwei kleine weiße Tabletten hin, die etwas anders geformt waren als das Haldol, das sie sonst immer bekam. Seit wann gaben sie ihr etwas anderes? Sie nahm ihm die Tabletten ab und musterte den feinen Glanz ihrer Umhüllung. Wenn nicht Haldol, was dann? Thorazin? Na und, was spielt es schon für eine Rolle? fragte sie sich, wie es ihr in letzter Zeit zur Gewohnheit geworden war. Mit der anderen Hand nahm sie das Glas, das Michael ihr reichte.
    Was hatte Anne Halloren-Gimblet zu ihr gesagt? Sie hatte etwas von dem Ausflug erzählt, bei dem Jane diesem rücksichtslosen
Mann eins mit der Handtasche übergebraten hatte. Sie hatte gesagt, sie bewunderte Jane und hätte ein schlechtes Gewissen, weil sie es ihr nicht schon viel früher gesagt hatte. >Wenn so etwas noch einmal vorkommt, warte ich nicht wieder sechs Monate, ehe ich mich melde.< Ja, das war es gewesen. >Ich warte nicht wieder sechs Monate, ehe ich mich melde. < Sechs Monate? Was hatte sie damit sagen wollen? Hatte sie überhaupt etwas damit sagen wollen, oder war es nur eine Redewendung?
    »Nimm die Tabletten, Jane. Wir können noch ein paar Stunden schlafen, ehe wir aufstehen müssen.«
    Sie brauchte mehr Zeit. Wenn sie die Tabletten nahm, würde sie innerhalb von Minuten wieder total weggetreten sein. Sie brauchte diese Minuten aber, um die Sache durchzudenken. Ihr Unterbewußtsein wollte ihr etwas mitteilen. Es hatte sich durch Stumpfsinn und Betäubung gekämpft und sich in ihre Träume geschlichen, weil es ihr etwas Wichtiges mitzuteilen hatte. Und jetzt brauchte sie Zeit, um herauszubekommen, was das für eine Botschaft war.
    Jane legte die Tabletten auf ihre Zunge und hob das Glas Wasser zum Mund. Doch als es sich ihren Lippen näherte, kippte sie es nach vorn, so daß sich das Wasser über ihr Nachthemd ergoß. Sie spürte, wie die klatschnasse Baumwolle sich auf ihre Brüste klebte.
    »Herrgott, Jane, paß doch auf, was du tust!« Michael riß ihr das Glas aus der Hand und wischte ihr das nasse Nachthemd mit einem Zipfel des Bettlakens ab. »Ist schon gut«, sagte er und ging wieder ins Badezimmer, während sie stumm die Bescherung betrachtete, die sie angerichtet hatte. »Ich hole dir ein neues Glas.«
    Kaum war er weg, spie Jane die beiden Tabletten in ihre Hand und schob sie unter die Matratze. >Das nächste Mal warte ich nicht wieder sechs Monate, ehe ich mich melde.<
    Sechs Monate.
    Michael kehrte mit einem frischen Glas Wasser zurück. Jane
führte es vorsichtig zum Mund, neigte den Kopf in den Nacken, als schlucke sie die Tabletten, und spülte das Wasser hinunter. Michael stellte das leere Glas auf den Nachttisch, kroch wieder ins Bett und schmiegte sich schützend an sie.
    Jane lag wach. Sie bemühte sich, ruhig zu atmen. Was hatte es zu bedeuten? Was hatte Anne Halloren-Gimblet gemeint, als sie gesagt hatte, das nächste Mal würde sie nicht wieder sechs Monate

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