Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
brachte; er konnte nicht zulassen, daß sie ihm den Kontakt zu seinem Kind nahm, das schließlich ein Teil von ihm war.
    Vor ihr tauchte ein Hinweisschild auf. Noch zweiundsechzig Meilen bis Sagamore. Von Sagamore waren es nochmals zwanzig Meilen bis Falmouth und danach nur noch wenige Meilen bis nach Woods Hole. Sie mußte sich konzentrieren. Sie durfte sich nicht von ihren Gedanken ablenken lassen.
    Dennoch fragte sie sich, was Michael wohl durch den Kopf gegangen war, nachdem sie verschwunden war. Was hatte er geglaubt, wohin sie sich geflüchtet hatte? Was hatte er sich gedacht, als sie nicht zurückgekommen war, sich nicht gemeldet und keinen Versuch unternommen hatte, herauszufinden, wo Emily war? Hatte er angenommen, er hätte sie mit seinen Drohungen in die Flucht geschlagen? Oder hatte er geglaubt, sie würde zurückkehren, sobald sie sich beruhigt hätte? Wenn sie
Zeit gehabt hätte, alles zu überdenken und einzusehen, daß sie ihm unrecht getan hatte?
    Was war in ihm vorgegangen, als die Polizei angerufen und ihm mitgeteilt hatte, daß seine Frau auf einem Untersuchungstisch im Städtischen Krankenhaus Boston saß und sich allem Anschein nach an nichts erinnern konnte? Hatte er da begonnen, seinen teuflischen Plan zu schmieden? Mit der Lüge, sie sei bei ihrem Bruder zu Besuch, erst einmal Zeit gewonnen, um seinen Plan auszuarbeiten und dann in Aktion zu setzen? Eine Leichtigkeit, die Leute mit seinem glänzenden Ruf und seinem Arztkoffer voll fauler Tricks hinters Licht zu führen. Eine Leichtigkeit, ein Medikament durch ein anderes zu ersetzen. Er hatte nur auf dem tragischen Tod ihrer Mutter und ihrer fatalen Neigung zum Jähzorn aufzubauen brauchen; alles andere hatte sich praktisch von selbst ergeben.
    Aber wie lange hätte das geklappt? Wie lange hätte es gedauert, bis ihr Bruder gekommen wäre, erkannt hätte, was gespielt wurde, und sie gerettet hätte? Jane lachte bitter. Bis Tommy erschienen wäre, hätte sie längst irgendwo in der Klapsmühle Körbe geflochten und wäre von den Medikamenten viel zu benebelt gewesen, um auf seine Anwesenheit überhaupt zu reagieren. Tommy wäre besorgt, ja bestürzt gewesen, aber Michael hätte ihn gewiß bald davon überzeugt - so wie er zweifellos alle ihre Freunde überzeugt hätte -, daß es für ihn das Beste sei, sich um sein eigenes Leben zu kümmern; daß er - Michael - nach besten Kräften für Jane sorgen, daß er in Verbindung bleiben werde.
    Und Emily? Was hätte Michael ihr erzählt? Daß ihre Mutter sie verlassen habe? Daß sie nun ganz auf sich gestellt seien, Vater und Tochter, und fest zusammenhalten müßten? Wahrscheinlich hätte er sie bei ihrer Loyalität gepackt und ihr eingebleut, daß gewisse Dinge geheimgehalten werden müßten. Wahrscheinlich hätte er sie weiterhin nach dem Baden abgetrocknet
und sie, wenn die Sehnsucht nach ihrer Mutter sie gequält hätte, damit getröstet, daß er zu ihr ins Bett gekrochen wäre. Vielleicht hätte er sie auch zu sich ins Bett geholt, weil es da gemütlicher war. Und wahrscheinlich hätte er ihr immer wieder gesagt, wie schön sie sei, daß er ihrer Schönheit nicht widerstehen könne und daß darum alles, was er mit ihr tat, nur ihre Schuld sei.
    Diese Gemeinheit! dachte Jane und bemerkte plötzlich am Straßenrand ein Polizeiauto. Automatisch bremste sie ab, um ja nicht in eine Radarfalle zu geraten.
    Im Rückspiegel sah sie, daß das Polizeifahrzeug sie nicht verfolgte, und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Sie mußte vorsichtiger sein, sich mehr auf das Fahren konzentrieren.
    Sie bemerkte, daß die Landschaft sich zu verändern begann. Normalerweise liebte sie diese Fahrt hinunter nach Cape Cod, das Gefühl, endlich der Stadt entronnen zu sein und ein paar Tage ländliche Ruhe und frische Luft genießen zu können. Woods Hole war ein Dörfchen an der Spitze von Cape Cod, von Touristen und Sommergästen, die nur für die bekannten Orte Martha’s Vineyard und Nantucket Augen hatten, meist übersehen. Für sie war Woods Hole nur der Ort, an dem man mit der Fähre ankam oder abfuhr. Sie schenkten dem kleinen Ort kaum Beachtung, und das war den Whittakers gerade recht. Jane hatte das Häuschen, das nicht weit vom Wasser hinter hohen alten Bäumen verborgen stand, immer geliebt.
    Sie rieb sich die Augen und öffnete sie weit, während ihre Gedanken zu Michael zurückkehrten. Hatte er auch andere Kinder belästigt? Hatte er seine Machtstellung und das Vertrauen, das ihm von den

Weitere Kostenlose Bücher