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Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf! Kostenlos Bücher Online Lesen
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fast acht. Bald würde es dunkel werden. Der Mond, der jetzt nur ein bleicher Fleck auf strahlend blauem Hintergrund war, würde an Kraft und Farbe gewinnen und die Herrschaft übernehmen. Wo war die Zeit geblieben?
    »Komm«, sagte Michael und schob sie sachte ins Schlafzimmer am Ende des Flurs.
    »Was sind das hier für Zimmer?« Sie blieb vor der ersten Tür rechts der Treppe stehen.
    »Machen wir doch unseren Rundgang morgen zu Ende.« Sein Ton war leicht, aber sie hörte eine ernstere Schwingung, als meine er, der Enthüllungen seien genug für diesen einen Tag, und fürchte, weitere könnten sich auf ihr unsicheres seelisches Gleichgewicht ungünstig auswirken.
    »Ich möchte es aber gern jetzt wissen«, beharrte sie. »Bitte.«
    Seine Stimme war sanft. »Wie du willst.«

    Sie traten in ein mittelgroßes Gästezimmer, das ganz in Hellgrün und Gelb gehalten war. Dem breiten Himmelbett gegenüber stand eine große antike Kommode, über der ein goldgerahmter Spiegel hing. Jane kopfte leicht auf die unverkennbar alte und kostbare Quilt-Decke, die über dem Bett ausgebreitet war, mied den Blick in den Spiegel, berührte flüchtig die Kommode, als sie zu dem Fenster mit der Buntglasscheibe ging. Inmitten eines grün-roten Feldes stand hoch aufgebäumt ein weißes Einhorn. Ihr Blick folgte ihren Fingern, die die schwarzen Umrandungen des geschliffenen Glases nachzeichneten. Das Einhorn ist ein Märchenwesen, dachte sie und fragte sich, ob man dasselbe von ihr sagen könnte. Jane Whittaker ist ein Märchenwesen, wiederholte sie, und das Bild gefiel ihr.
    Lautes Kreischen riß sie aus ihrer Vergangenheit. Durch die einfache Glasscheibe neben dem Buntglasfenster sah sie zwei junge Leute in jugendlichem Ungestüm aus dem Haus Carole Bishops stürmen.
    »Andrew und Celine«, bemerkte Michael, der zu ihr ans Fenster getreten war. »Andrew ist vierzehn, Celine wird, glaube ich, im Herbst sechzehn. Sie waren früher öfter zum Babysitten bei uns.«
    »Früher?«
    »Sie haben immer weniger Zeit. Du weißt ja, wie junge Leute sind. Sie sind der Meinung, sie haben ein Recht auf ein Eigenleben.«
    Jane lächelte und drückte die Stirn an die Fensterscheibe, die sich angenehm kühl anfühlte. In diesem Augenblick stolperte ein alter Mann in einem zerknitterten gestreiften Pyjama aus der Tür. Ihm folgte mit ohrenbetäubendem Gebell ein großer Hund. Beide rannten mitten in ein Beet farbenprächtiger Petunien an der Seite des Gartenwegs. Dann kam Carole Bishop aus dem Haus geschossen, packte den Hund beim Halsband und den alten Mann an der Schlafanzugjacke, als dieser davonzulaufen versuchte.
Jane hörte selbst hier oben noch die Gereiztheit und die Resignation in Caroles Stimme. »Geh wieder ins Haus, Dad!« schrie sie laut, um das Hundegebell zu übertönen, während ihre beiden Sprößlinge vom Bürgersteig aus die Szene beobachteten und sich vor Lachen bogen.
    »Er sieht aus wie ein Gefangener, der fliehen möchte«, bemerkte Jane voller Mitleid mit dem Alten.
    »So fühlt er sich wahrscheinlich auch«, meinte Michael. »Es ist schon traurig. Carole bemüht sich wirklich. Aber manchmal ist nichts, was man tut, genug.«
    Jane fragte sich, ob Michael von Carole sprach oder von sich selbst.
    »Bitte, geh wieder ins Haus, Dad!« flehte Carole mit lauter Stimme. »Komm schon, du inszenierst hier einen Riesenauftritt. Willst du denn die ganzen Nachbarschaft unterhalten?« Als wäre sie plötzlich aufmerksam geworden, daß sie beobachtet wurde, sah Carole direkt zu dem Fenster im ersten Stock hinauf, an dem Jane stand. Hastig fuhr diese zurück, trat Michael auf den Fuß und fiel stolpernd an seine Brust.
    »Oh, entschuldige.« Sie spürte den Schlag seines Herzens und wäre am liebsten so geblieben, um sich von seiner Kraft und Stärke tragen zu lassen.
    »Du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen.«
    Jane ging zur Tür zurück, den Kopf starr geradeaus gerichtet, um nicht in den Spiegel sehen zu müssen, an dem sie vorüberkam.
    »Jane, du brauchst vor Spiegeln keine Angst zu haben«, sagte Michael tröstend. »Du existierst wirklich. Du bist doch kein Vampir oder so was.«
    Sie überquerte den Flur zum Zimmer auf der anderen Seite und nahm ein Bild von sich selbst mit, wie sie lange spitze Zähne in den nackten Hals eines hilflosen Opfers grub, dessen Blut sich auf ihr blaues Kleid ergoß.

    »Dein Arbeitszimmer?« fragte sie, bemüht, sich auf den schweren Schreibtisch aus massivem Eichenholz, das grüne Ledersofa gegenüber,

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