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Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf! Kostenlos Bücher Online Lesen
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sich so wenigstens fürs erste ihres Bildes.
    Die Kleider ihres vergangenen Lebens sprangen ihr entgegen. Sie betrachtete jedes einzelne Kleidungsstück, als wäre es ein kostbares Kunstwerk aus einer anderen Epoche. Sie ließ die Stoffe durch die Finger gleiten und las die Etiketten mit einer Aufmerksamkeit, als könnten sie ihr einen Hinweis auf ihre Geschichte geben. In den Schränken hingen vielleicht zehn Kleider, wahrscheinlich doppelt soviele Blusen, dazu Röcke und lange Hosen. Einige Stücke waren sehr modisch und elegant, andere wirkten viel zu mädchenhaft für eine Frau in ihrem Alter. Sie hatte beim Einkaufen offensichtlich ihre guten und ihre schlechten Tage.
    Eine hohe Kommode mit Schubladen trennte ihren Kleiderschrank
von dem ihres Mannes. Sie zog die Laden eine nach der anderen auf, bewunderte die zarte Unterwäsche aus Seide und Satin, schob hastig einen Strapsgürtel aus schwarzer Spitze nach hinten, ehe Michael ihn sah. Ziehe ich so was tatsächlich an? fragte sie sich beinahe peinlich berührt. Sie hatte Strumpfhosen angehabt, als sie sich in Bostons Straßen herumirrend wiedergefunden hatte. Vielleicht hatte sie ein Faible für Reizwäsche im Schlafzimmer. Wahrscheinlicher war, daß Michael ein Faible dafür hatte.
    Sie senkte den Blick zum Schrankboden und zählte zwölf Paar Schuhe, ehe sie sich stark genug fühlte, ihn anzusehen. »Ich habe viele schöne Sachen«, sagte sie.
    »Das finde ich auch«, stimmte er zu. »Die Sachen, die du jetzt trägst, kenne ich allerdings nicht.«
    Jane blickte an den Kleidern hinunter, die sie an diesem Morgen gekauft hatte. »Ich auch nicht«, sagte sie und lachte.
    »Bist du müde?«
    Sie nickte. Sie konnte es kaum erwarten, ins Bett zu kriechen, aber sie war sich nicht sicher, ob sie Michael neben sich haben wollte.
    »Mach dir keine Sorgen, Jane«, sagte er sofort. Er schien wirklich ein begabter Gedankenleser zu sein. »Ich schlafe im Gästezimmer, bist du es wieder anders willst.«
    »Ich kann doch im Gästezimmer schlafen«, entgegnete sie rasch.
    »Nein«, sagte er entschieden. »Das ist dein Zimmer.«
    »Unser Zimmer«, korrigierte sie.
    »Ja, bald wieder. Hab Vertrauen.« Er nahm ein langes weißes Baumwollnachthemd von einem Bügel. »Dein Lieblingsnachthemd.« Er legte es auf das Bett. »Zieh-dich ruhig schon aus. Das Bad ist gleich nebenan.« Er wies auf eine Tür jenseits der Reihe offener Schranktüren. »Ich geh inzwischen runter und mach uns eine Tasse Tee.«

    Er war weg, ehe sie sagen konnte, ach ja, das wäre schön.
    Langsam ließ sie sich auf das Bett sinken, mit der einen Hand den Pfosten am Fußende des Betts umfassend, mit der anderen zu dem weißen Baumwollnachthemd greifend, das neben ihr lag. Sie musterte es aufmerksam, erstaunt, daß eine Frau, der es Spaß machte, sich in schwarzer Reizwäsche zu produzieren, an so einem jungfräulich keuschen Ding Gefallen finden konnte. Und es auch noch zu ihrem Lieblingsnachthemd erkoren hatte. »Ach was«, sagte sie schließlich laut. »Immer noch besser als im Mantel zu schlafen.«
    Zwei Minuten später war sie aus ihren Kleidern und in das bodenlange Baumwollhemd geschlüpft. Nachdem sie die Schuhe ausgezogen hatte, hob sie kurz die Innensohle des rechten hoch und stellte mit Erleichterung fest, daß der Schlüssel zu ihrem Schließfach noch sicher und wohlbehalten in seinem Versteck lag. Sie hängte ihre neue Hose auf einen Bügel, legte den Pulli in eine Schublade mit einem Stapel anderer, und schob die Schuhe ganz hinten in den Schrank, ehe sie ins Badezimmer eilte, um sich das Gesicht zu waschen und die Zähne zu putzen.
    Welche Zahnbürste ihre war, war nicht schwer zu erraten. Michael hatte bestimmt keine Vorliebe für Blaßrosa. Sie putzte sich die Zähne mit großer Gründlichkeit und schrubbte sich das Gesicht, bis es so rosig war wie ihre Zahnbürste. Dann nahm sie die Haarbürste vom Toilettentisch neben den beiden Waschbekken und bürstete sich das Haar, bis ihre Kopfhaut prickelte.
    Im Schlafzimmer zurück, hockte sie sich unschlüssig auf die Bettkante. Am liebsten wäre sie gleich unter die Daunendecke gekrochen, aber Michael wollte ja noch mit ihr Tee trinken. Sie wußte nicht, was sie mit sich anfangen sollte. Unruhig glitten ihre Hände vom steifen weißen Baumwollstoff des Nachthemds zum Nachttisch neben dem Bett. Sie nahm den Wecker, sah nach, wie spät es war, obwohl sie das eigentlich gar nicht interessierte, schob das weiße Telefon nach hinten und zog es

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