Lauf, Jane, Lauf!
nicht erschrecken.«
Jane starrte die Frau an. Sie schätzte sie auf Ende Zwanzig. Das runde Gesicht war nicht hübsch im landläufigen Sinn. Man hätte es eher >apart< genannt, unter Umständen sogar >geheimnisvoll<. Die Augen waren unergründlich und so dunkel wie das Haar, die Nase über dem großen, rot gemalten Mund war lang und schmal.
»Ich bin Paula«, sagte die Frau. »Paula Marinelli.« Sie wartete auf ein Zeichen des Erkennens. Als keines kam, fuhr sie zu sprechen fort. »Ich komme zweimal in der Woche zum Saubermachen. Dr. Whittaker wollte Sie eigentlich daran erinnern.«
»Ja, das hat er getan«, antwortete Jane, die sich verschwommen an das Gespräch erinnerte. »Sie müssen entschuldigen. Ich bin ein bißchen durcheinander.« Sie hätte beinahe gelacht über diese Untertreibung.
Paula Marinelli war sichtlich verlegen. »Dr. Whittaker sagte, daß Sie an einem Gedächtnisausfall leiden.«
»Aber nur vorübergehend«, versicherte Jane. »Jedenfalls hat man mir das gesagt.« Sie räusperte sich. »Wo ist mein Mann überhaupt? Schläft er noch?«
Paula wirkte ehrlich schockiert. »Aber nein! Dr. Whittaker ist heute schon in aller Frühe in die Klinik gefahren.«
»In die Klinik?«
»Ja. Ein Notfall.«
Jane nickte. »Ach so. Natürlich. Das kommt sicher ziemlich häufig vor.«
»Die Leute wollen alle nur zu Dr. Whittaker. Ein Wunder ist es nicht«, fügte Paula Marinelli mit leisem Stolz hinzu. »Er ist wirklich der beste.« Sie sah sich flüchtig im Zimmer um. »Soll ich Ihnen das Frühstück heraufbringen?«
»Nein, nein, ich möchte unten in der Küche essen.«
Paula musterte sie argwöhnisch. »Dr. Whittaker sagte aber, daß Sie möglichst viel Ruhe haben sollen.«
»Na, bis zur Küche hinunter werde ich es schon noch schaffen«, erwiderte Jane. »Wirklich. Ich fühle mich ganz wohl.«
Sie gingen nach unten.
»Machen Sie es sich bequem. Ich richte inzwischen das Frühstück«, sagte Paula und führte Jane zu einem der Küchenstühle.
»Aber ich kann Ihnen doch helfen.« Die Vorstellung, untätig dazusitzen und sich von der jungen Frau, die offensichtlich sehr tüchtig war, bedienen zu lassen, behagte Jane gar nicht. »Ich glaube, wie man Kaffee kocht, weiß ich noch.«
»Der Kaffee ist schon fertig«, sagte Paula und schenkte ihr ein. »Wie trinken Sie ihn?«
»Ich weiß nicht mehr genau«, antwortete Jane. »In den letzten Tagen habe ich ihn schwarz getrunken.«
»Gut, dann schwarz.« Paula stellte die dampfende Tasse vor Jane auf den Tisch und wartete auf weitere Anweisungen.
»Trinken Sie nicht auch eine Tasse?«
»Später vielleicht. Was möchten Sie dazu haben? Rührei? Toast? Corn Flakes?«
»Toast wäre schön«, sagte Jane, die der Frau möglichst nicht zur Last fallen wollte. »Und dazu ein Glas Orangensaft, wenn es keine Mühe macht.«
»Aber nein, natürlich nicht. Dazu bin ich doch da!«
»Um mir Orangensaft zu bringen?« Jane hoffte auf ein Lächeln der ernsthaften jungen Frau, aber Paula Marinelli verzog keine Miene. Vielleicht ist sie mit Dr. Klinger verwandt, dachte Jane, die sich an den humorlosen jungen Arzt im Krankenhaus erinnert fühlte.
»Um Ihnen behilflich zu sein.«
»Was tun Sie denn normalerweise, wenn Sie hier sind?« Jane trank einen Schluck Kaffee.
Paula stand schon an der Arbeitsplatte, schon zwei Scheiben Brot in den Toaster, goß ein großes Glas Orangensaft ein, stellte die Flasche in den Kühlschrank zurück, wartete, bis der Toast fertig war, bestrich die beiden Scheiben mit Butter und brachte alles zusammen mit mehreren Gläsern Marmelade zum Tisch.
»Meistens räume ich auf, mache die Wäsche und bügle«, antwortete sie. Sie blieb am Tisch stehen und wartete, bis Jane in ihren Toast biß. »Nehmen Sie keine Marmelade?«
Um einer Diskussion aus dem Wege zu gehen, griff Jane zur Orangenmarmelade.
»Warten Sie, ich mach das schon.« Paula nahm ihr das Messer aus der Hand und bestrich beide Toastscheiben mit einer dicken Schicht Marmelade. Jane sah ihr mit dem ohnmächtigen Zorn eines kleinen Kindes zu. Das kann ich doch selber, Mami, hätte sie am liebsten gesagt, aber sie unterließ es. Die junge Frau hatte offensichtlich ihre Anweisungen und war entschlossen, sie bis aufs i-Tüpfelchen zu befolgen. Wozu ihr das Leben schwermachen, da sie doch nur helfen wollte.
»Wie lange kommen Sie schon zu uns?« fragte Jane, als Paula begann, die sowieso schon blitzblanke Arbeitsplatte abzuwischen.
»Ein gutes Jahr.«
»Ich wollte, ich könnte
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