Lauf, Jane, Lauf!
einmal tief durch und hoffte, daß ihre Beine sich als zuverlässiger erweisen würden als ihre Hände.
»Du schaffst es schon«, ermutigte Michael, während er vom Sofa aufstand.
Zaghaft setzte sie einen Fuß vor den anderen und hörte es ein zweites Mal läuten, noch ehe sie sich in Bewegung gesetzt hatte.
»Immer mit der Ruhe«, hörte sie Michael sagen. Dann hatte sie die Haustür erreicht und zog sie auf.
Zwei sympathische Fremde standen vor ihr, die Frau mit einem großen Strauß Sommerblumen, der Mann mit einer Flasche Wein in der Hand.
»Willkommen zu Hause!« rief die Frau und umarmte Jane. »Wie konntest du es wagen, so lange wegzufahren, ohne einem Menschen ein Wort zu sagen.« Sie trat einen Schritt zurück, um Jane zu betrachten, und Jane nutzte die Gelegenheit, um ihrerseits die Fremde zu mustern.
Sie war groß und schlank mit blonden Strähnen im kinnlangen braunen Haar. Sie trug eine dunkelblaue Hose und eine blaßblaue Seidenbluse mit einer Straßbrosche in Form eines Kußmundes. Die langen Ohrgehänge, Kaskaden bunter Sterne, reichten ihr fast bis zu den Schultern, und ihre Lippen waren knallrot gemalt. Eine ziemlich auffallende und temperamentvolle Frau, war Janes erster Eindruck, und sie fragte sich, was, um alles in der Welt, sie mit dieser Frau gemeinsam hatte.
Die Frau starrte Jane an, als stelle sie sich die gleiche Frage. »Was hast du denn mit dir gemacht?« fragte sie verblüfft.
Automatisch hob Jane beide Hände zum Gesicht. Am liebsten hätte sie sich hinter ihren zitternden Fingern versteckt. »Wie meinst du das?«
»Was hast du mit deinem Gesicht angestellt?« Die Frau griff Jane unter das Kinn und drehte ihren Kopf, um aufmerksam die Haut an ihrem Haaransatz zu begutachten. »Hast du dich etwa in Kalifornien liften lassen und einen Pfuscher erwischt?«
»Was, zum Teufel, redest du da?« fragte der Mann, der neben ihr stand. Er stieß die Haustür zu und reichte den Wein Michael, der herausgekommen war, um die Gäste zu begrüßen. »Hallo, Michael. Schön, dich zu sehen. Wie geht’s?«
»Ganz gut, Peter. Und bei dir?«
»Glänzend. Mir geht’s immer glänzend, wenn die Steuererklärungen alle abgegeben sind.«
»Hallo, Sarah.« Michael küßte die Frau herzlich auf beide Wangen und ging ihnen dann ins Wohnzimmer voraus.
»Was ist denn mit Jane los?« hörte Jane Sarah flüstern und sah Michael mit einem Kopfschütteln antworten. »Was hast du mit dir angestellt?« beharrte Sarah, während sie den Blumenstrauß zerstreut Paula in die Hand drückte, die mit einer Platte Kräcker und Pate aus der Küche kam. Paula nahm die Blumen, stellte die Platte ab und ging wieder hinaus.
»Wer war denn das?« fragte Sarah verwirrt. »Was ist denn bei euch los?«
»Himmel, Sarah, wir sind doch eben erst gekommen«, wies Peter seine Frau zurecht.
»Das war Paula«, erklärte Michael. »sie kam sonst immer zweimal die Woche zum Putzen zu uns, aber als Jane weg war, habe ich sie gebeten, täglich zu kommen. Sie war damit einverstanden. Zumindest für den Sommer.«
»So ein Glück möchte ich auch haben«, sagte Sarah, die Jane immer noch ungeniert anstarrte.
»Ich habe mich nicht liften lassen«, erklärte Jane schnell.
»Wirklich nicht. Vielleicht liegt es am Make-up. Oder an der Frisur.«
»Nein, es geht tiefer.«
»Und für die tiefen Dinge ist meine Frau ja Spezialistin, nicht wahr, mein Schatz? Nehmt euch doch von der Pate, Leute, sie schmeckt köstlich.« Peter schob sich einen Kräcker mit Pate in den Mund.
»Ich finde, sie sieht großartig aus«, verteidigte Michael seine Frau und küßte sie auf die rougerote Wange. »Was möchtet ihr trinken?« fragte er.
»Bloody Mary«, antwortete Peter prompt.
»Ist das ein Gin Tonic?« Sarah wies auf das Glas in Michaels Hand.
»Richtig.«
»Sieht gut aus. Und du, Jane?«
Jane hob ihr Glas. »Ich glaube, ich bleibe bei Ginger Ale.«
»Also jetzt ist klar, daß hier was nicht stimmt«, behauptete Sarah. »Seit wann trinkst du Ginger Ale?«
»Ich habe eine kleine Magenverstimmung«, log Jane, die spürte, daß dies nicht der richtige Moment war, das Wesentliche anzugehen. »Wahrscheinlich vom Flug.«
»Warum hast du das Essen nicht einfach verschoben? Wir hätten doch auch einen anderen Abend kommen können.«
»Ach wo. Mir geht’s doch gut. Wirklich.«
»Du siehst aber nicht so aus.«
»Sarah!«
»Hör auf, mich zu schulmeistern, Peter. Ich darf doch wohl mal besorgt sein.«
»Besorgt vielleicht, aber nicht
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