Lauf, Jane, Lauf!
etwas in die Pate gemischt hatte? Wie zur Antwort auf ihren unausgesprochenen Verdacht lud Michael ein Häufchen Pate auf einen Kräcker und schob ihn in den Mund, während Peter sich zum Tisch beugte, um sich ebenfalls zu bedienen. Es konnte also nicht an der Pate liegen, daß ihr so schwummrig war. Woran dann? Am Ginger Ale? Hatte ihr Michael vielleicht doch etwas in ihr Glas gekippt?
Bitte, bitte mach jetzt nicht schlapp, flehte sie sich selbst an. Heute nachmittag ging es dir doch ganz gut. Das heißt, gut nicht direkt, aber du warst wenigstens diese gräßliche Übelkeit los, die dir jegliche Kontrolle raubt, wo alles sich um dich dreht und die Stimmen um dich herum mal laut, mal leise sind. Bitte reiß dich
wenigstens bis nach dem Essen zusammen, bis du Gelegenheit hattest, Sarah alles zu erklären.
Und wie würde Sarah reagieren? Sie war schon erschrocken genug über Janes Aussehen, stutzig genug über ihren langen Aufenthalt in San Diego bei einer Frau, die sie offensichtlich nicht leiden konnte. Ich habe ja gleich gewußt, daß ich die Frau nie gemocht habe, dachte Jane, die sich an die Stimme ihrer Schwägerin am Telefon erinnerte, als sie versucht hatte, sie davon zu überzeugen, daß sie Hilfe brauchte. Tröstlich zu wissen, daß wenigstens einige meiner Instinkte noch intakt sind.
Okay, was sagen dir deine Instinkte über Sarah Tanenbaum? Wie wird sie die Geschichte von deiner Amnesie aufnehmen? Deine Version von deiner Gefangenschaft? Wird es ihr ebenso schwerfallen, diese Informationen zu akzeptieren wie deine Schwägerin? Wird sie ebenso skeptisch reagieren und schließlich Michael glauben? Wie kannst du von ihr erwarten, daß sie dir glaubt, daß Michael dich belogen hat, wenn du selbst noch nicht einmal davon überzeugt ist, daß er lügt? Wo er doch so gekonnt lügt! (»Ich bin an den Wochenenden ein paarmal rübergeflogen«, hatte er zu Sarah gesagt. Warum hatte er das gesagt?) Wird sie glauben, daß du den Verstand verloren hast, und sich wie Eleanor davon überzeugen lassen, daß du gerade einen Nervenzusammenbruch durchmachst?
Und wieviel willst du ihr überhaupt anvertrauen? Willst du Sarah auch von den zehntausend Dollar erzählen? Von dem Blut auf deinem blauen Kleid? Blau ist eindeutig Janes Farbe, hatte Sarah gesagt.
»Okay, Frank, sagte ich zu ihm, sei nett zu dir selbst und schieb den Kerl ab. Er mag ja zur Lokalprominenz gehören, und es tut einem immer gut, wenn man sagen kann, >ich mach die Steuern für Soundso<, aber wenn du den weiter betreust, kriegst du höchstens Magengeschwüre, und das lohnt sich wirklich nicht. Stellt euch mal vor, dieser Fatzke ruft Frank mitten in der
Nacht an, um ihm einen Traum zu erzählen. Von Steuerparadiesen! Ist das zu fassen? Und Frank hört ihm auch noch zu. Klar, daß der Kerl immer wieder anruft. Da spart er sich den Analytiker. Den übrigens meiner Ansicht nach Frank dringend braucht.«
»Und wer ist denn nun diese Lokalgröße?«
»Hey, ihr dürft kein Wort von dem weitersagen, was ich euch erzählt habe...«
»Er hat es schon der halben Stadt erzählt«, bemerkte Sarah gelassen.
»Es ist Charlie McMillan.«
»Wer ist Charlie McMillan?«
»Der Wettermensch vom Sechsten Programm. Mensch, Michael, du alter Langweiler. Du kennst aber auch gar niemanden. Aber du weißt doch, wen ich meine, nicht, Jane? - Jane?«
Peters Gesicht waberte. Warum sitzt der Mann nicht still? dachte sie und versuchte, sich zu erinnern, was er gefragt hatte. Aber wie sollte sie ihn überhaupt hören, wenn seine Stimme immer leiser wurde wie bei einer schlechten Telefonverbindung?
»Entschuldige. Ich hab dich nicht gehört.«
»Jane, was ist los?«
»Vielleicht solltest du nach oben gehen und dich ein paar Minuten hinlegen.«
»Wir können den Abend doch nachholen.«
»Nein. Es ist alles in Ordnung. Wirklich. Mir geht’s gut. Was soll denn das? Warum fallt ihr alle über mich her, nur weil ich einen Moment nicht zugehört habe?«
»Du sahst aus, als würdest du gleich umkippen«, erklärte Sarah und beugte sich zu ihr.
Jane schüttelte den Kopf. »Es ist nichts. Ich bin wahrscheinlich nur hungrig.« Sie sah Michael an, der mit dem Finger an seinen Mundwinkel tippte, ein Zeichen für sie, daß an ihrem eigenen Mundwinkel irgend etwas saß. Sie hob eine Hand zu den Lippen
und wischte einen Speichelfaden weg. Sie hätte gern einen Schluck Ginger Ale getrunken, ließ es aber lieber sein. Wo blieb eigentlich Paula mit dem Essen? Sie hatte seit Mittag nichts
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