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Lauf, so schnell du kannst

Lauf, so schnell du kannst

Titel: Lauf, so schnell du kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Howard
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sich an den Abstieg machen. Sein Vorteil war es, dass er wusste, wo sie hinwollte.
    Aber sein Nachteil war in diesem Moment der, dass er nicht genau wusste, wo er sich befand. Er saß da und konzentrierte sich, zwang sich, den Sturm und die rastlosen Pferde auszublenden. Er war kein großer Outdoor-Mensch, aber er hatte einen allgemeinen Orientierungssinn. Er und Davis waren links hinter dem Lager gewesen; der Bär war aus dieser Richtung gekommen. Als er aus dem Lager geflohen war, war er nach rechts gerannt, weg von dem Bären, was ihn in eine eher nördliche Richtung gebracht hatte. Er musste also wieder nach Süden und dann nach Osten. Er hatte keine Ahnung, wie lange er geritten war, getrieben von Panik, aber er schätzte, dass er nicht mehr als zwei Meilen von dem Camp entfernt sein konnte.
    Er hatte sich bei ihrer Ankunft an einigen sichtbaren Landmarken orientiert, daher war er ziemlich sicher, dass er den Lagerplatz wiederfinden konnte, wenn er musste. Musste er denn? Musste er wirklich sichergehen, dass Angie tot war, oder sollte er einfach so schnell wie möglich zu Lattimore reiten und außer Landes verschwinden? Er ritt, sie war zu Fuß. Er würde ihr mindestens einen Tag voraus sein, oder?
    Reichte ein Tag?
    Vielleicht, vielleicht auch nicht. Er hätte lieber diese Woche gehabt, die er eingeplant hatte.
    Dann kam ihm plötzlich ein schrecklicher Gedanke, und er stöhnte laut auf.
Fuck!
Wie hatte er nur so dumm sein können? Er hatte den Kopf verloren und war in Panik geraten, und jetzt … Doppelfuck! Er musste ins Camp zurück, und das hatte nichts mit Angie und dem Verknüpfen loser Enden zu tun.
    Er hatte die Schlüssel zu dem SUV nicht dabei.
    Davis hatte sie gehabt. Sie könnten in seiner Tasche oder irgendwo in seinem Zelt gewesen sein, aber Chad musste so oder so an die Schlüssel herankommen, oder sein ganzer Plan würde sich in Luft auflösen und ihn in einem großen Haufen Scheiße sitzen lassen.
    Er würde ins Camp zurückkehren müssen, sich eine Stelle suchen, von der aus er es beobachten und sehen konnte, ob Angie noch dort war. Falls ja, würde er auf seine Chance warten müssen, sie abzuschießen, und dann würde er sich auf die Suche nach den Schlüsseln machen. Er hoffte nur, dass sie sich bei Davis’ Sachen in seinem Zelt befanden und nicht in einer seiner Taschen … oder im Bauch eines Schwarzbären.

12
    Angie hielt sich dicht am Boden und zog sich weiter, über Steine und Pflanzen, durch Wasserrinnsale, die sich bereits in rauschende Ströme verwandelt hatten, als der Abfluss des Berggewitters zu einer Flut zu werden drohte. Um durch dieses Wasser zu gehen, musste sie ihren gesunden Menschenverstand irgendwann unterwegs aufgeben, denn nur ein Idiot würde versuchen, durch reißendes Flutwasser zu kriechen, ohne angeleint zu sein. Aber alles in allem dachte sie, dass Flutwasser das geringste ihrer Probleme war. Wenn sie vom Berg gespült wurde und in einer Handbreit Schlamm und Wasser ertrank, na ja, dann war das für sie akzeptabler, als von einem Bären zerfleischt zu werden oder sich von Chad Krugman, diesem mordlustigen Hohlkopf, überwältigen zu lassen.
    Also fasste sie den Entschluss, nicht zu ertrinken. Die einzige Möglichkeit, dies durchzustehen, bestand darin, sich nur auf jeden einzelnen Moment zu konzentrieren und sich nicht zu gestatten, darüber nachzudenken, wie weit es bis zu Ray Lattimore war oder wie lange sie brauchen würde, um dort hinzukommen, oder wie kalt ihr war oder wie sehr ihr Knöchel schmerzte – für nichts von alledem war jetzt Platz in ihrem Kopf, denn sie musste sich allein darauf konzentrieren zu überleben.
    Den Geruch von Regen hatte sie immer schon geliebt, die Frische, die er mit sich brachte, die Verheißung auf Leben, die Erneuerung. Sie hatte es geliebt, seinem Trommeln auf dem Dach zu lauschen und sich nachts davon in den Schlaf wiegen zu lassen. Oh, sie hatte oft draußen im Regen gearbeitet, und das war zwar überhaupt kein Spaß gewesen, aber die Tiere mussten nun mal bei jedem Wetter versorgt werden, das gehörte einfach zum Leben dazu, und sie hatte keine Zeit oder Mühe darauf verschwendet, sich deswegen zu ärgern.
    Aber dies hier war anders. Sie wusste nicht, ob sie je wieder in der Lage sein würde, den Regen zu genießen.
    Sie bewegte sich qualvoll Zentimeter um Zentimeter vorwärts, und ihr Knöchel pochte so heftig, dass sie manchmal einfach erstarrte und die Zähne zusammenbiss, während sie sich durch die Schmerzwellen

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