Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lauf, wenn du kannst

Lauf, wenn du kannst

Titel: Lauf, wenn du kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
Vom Netzwerk:
gewöhnlicher Tatort geworden.
    Man verständigte die Staatsanwaltschaft von Suffolk County und holte einen stellvertretenden Bezirksstaatsanwalt aus dem Bett, der wiederum eine Sonderkommission zusammentrommelte und zum Tatort eilte. Bobbys Sig Sauer stellte man als Beweisstück sicher. Die Kollegen aus seiner Einheit wurden sofort getrennt und als Zeugen vernommen.
    Inzwischen hatten sich die Journalisten entlang des gelben Absperrbandes versammelt. Im Licht der Fernsehscheinwerfer kämpften die Reporter um die besten Plätze. Bis jetzt hatte die Staatsanwaltschaft alles im Griff. Die Leiche war bereits abtransportiert worden. Bobby saß abgeschirmt in einem Streifenwagen.
    Bei diesem Spiel kam es vor allem darauf an, den Kameraleuten möglichst wenig Motive zu bieten. Doch wenn man die Medien am Boden zu lange abwimmelte, würden sie vermutlich bald den Luftraum erobern.
    Mittlerweile war Bobbys Lieutenant John Bruni eingetroffen. Er kam zum Streifenwagen.
    »Wie geht es Ihnen?«
    »So einigermaßen.«
    »Solche Situationen sind immer scheußlich.«
    »Stimmt.«
    »Gleich kommt jemand von der Personalvertretung, der Ihnen Ihre Rechte erklärt und Ihnen auch sonst unter die Arme greift. Sie sind nicht der Erste, dem das passiert, Bobby.«
    »Ich weiß.«
    »Beantworten Sie nur die Fragen, die Sie beantworten wollen. Wenn es Ihnen zu viel wird, brechen Sie die Vernehmung ab. Die Gewerkschaft stellt Ihnen einen Anwalt, also scheuen Sie sich nicht, einen Rechtsbeistand zu verlangen.«
    »Gut.«
    »Wir sind für Sie da, Bobby. Einer für alle, alle für einen.« Bruni musste los, vermutlich um sich mit der Presseabteilung zu besprechen, die sich bald an die Medien wenden würde:
    Heute Nacht war ein namentlich nicht genannter Polizeibeamter an einer Schießerei mit tödlichem Ausgang beteiligt.
    Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen. Kein weiterer Kommentar.
    Und dann würden die Dinge ihren Lauf nehmen. Bobby hatte das schon einmal erlebt, als ein Kollege bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle in einen Hinterhalt geraten war. Zwei männliche Latinos hatten das Feuer auf ihn eröffnet, worauf der Polizist ebenfalls geschossen und einen der Angreifer verwundet und den anderen getötet hatte. Der Kollege war sofort bei vollem Gehalt vom Dienst suspendiert worden, aus dem Revier verschwunden und wie vom Erdboden verschluckt gewesen, während die Journalisten ihm in den Zeitungen den Prozess machten und die Latinogemeinde ihm Rassismus vorwarf. Einen Monat später hatte die Staatsanwaltschaft entschieden, den Fall zu den Akten zu legen – vielleicht hatte es ja geholfen, dass der Beamte selbst einen Steckschuss in den Oberarm abbekommen hatte. Der Presse jedoch war das einerlei, und ein Bruder des Erschossenen strengte eine Zivilklage gegen den Mann an. Soweit Bobby wusste, hatte er inzwischen einen Prozess am Hals, in dem es um eine Million Dollar ging.
    Der Kollege kehrte nie zum Dienst zurück. Und die Mehrheit der Einwohner Bostons hielt ihn vermutlich für einen Rassisten.
    War es verwerflich, sich Sorgen um die eigene berufliche Zukunft zu machen, nachdem man gerade einen Menschen getötet hatte? Kreiste er nur um sich selbst? War ein Egoist? Oder war so eine Reaktion ganz normal? Wieder musste Bobby an die Frau denken. Schlank. Blass. Wie sie das Kind fest an sich gepresst hatte. Danke, hatte sie geflüstert. Er hatte vor ihren Augen und denen ihres Kindes ihren Ehemann erschossen, und sie bedankte sich dafür!
    Wieder ein Klopfen ans Fenster. Eigentlich überflüssig, weil die Autotür ohnehin offen war. Als Bobby aufblickte, sah er Patrick Loftus, einen seiner Kollegen.
    »Scheußliche Nacht«, sagte Loftus.
    »Stimmt.«
    »Tut mir leid, dass ich die Show verpasst habe. Bin erst angekommen, als schon alles vorbei war.« Loftus wohnte am Cape, etwa eine Autostunde entfernt. Also war der Schuss schon nach so kurzer Zeit gefallen. Zum ersten Mal wurde Bobby klar, dass er gar nicht wusste, wie spät es war. Er hatte den Anruf erhalten, war in den Wagen gesprungen und hatte sein Gewehr aufgebaut. Inzwischen hatten sich die Ereignisse in seiner Erinnerung bereits in einen Nebel verwandelt, in eine Aneinanderreihung von Handlungen und Reaktionen. Er war gekommen, hatte gesehen und gehandelt. Verdammt, er hatte einen Mann getötet. Genauer gesagt, ihm den Kopf weggepustet.
    Danke, hatte die Frau geflüstert. Danke.
    Bobby beugte sich aus dem Wagen. »Kameras?«, fragte er mit besorgtem Gesicht.
    »Ich

Weitere Kostenlose Bücher