Lauf, wenn du kannst
einfach noch nicht bereit war, zu gehen? Dieses Haus, dieses Zimmer, mehr war ihr von Jimmy nicht geblieben. Und obwohl ihr das niemand, am allerwenigsten ihre Schwiegereltern, glauben würden, hatte sie Jimmy geliebt. Sie hatte gehofft und – auch wenn sie nicht sehr fromm war – darum gebetet, dass es nie so weit kommen würde.
Nun duckte sie sich unter dem Absperrband durch und betrat das Schlafzimmer, eine eiskalte, gespenstische, in Schwarzweißtönen gehaltene Kammer. Zarte Vorhänge blähten sich, und die Plastikplane vor der zerschmetterten Schiebetür ächzte und stöhnte. Hier waren die Gerüche stärker, ein durchdringendes Röstaroma, das ihr die Nase zuschnürte und Erinnerungen wachrief.
Sie ging zum Bett, ließ die Hand über die nackte Matratze gleiten und starrte auf die dunklen Blutspritzer. Dann legte sie sich mitten auf die riesige, leere Fläche. Jimmy, als er sie zum ersten Mal sah und ihr, mitten in einem überfüllten Kaufhaus, sein typisches schiefes Grinsen zuwarf. »Hallo, Parfümdame, was muss ein Mann tun, um einen kleinen Spritzer abzukriegen?«
Jimmy, wie er mit ihr ins Bett gegangen und wie ihm anschließend klar geworden war, dass sie überhaupt nichts gespürt hatte. Er hatte versucht, verständnisvoll zu reagieren: »Ach, Liebling, weißt du was? Dann müssen wir eben mehr üben.«
Jimmy, der den Ring hervorkramte und sich dann auf die Knie warf, um ihr einen Antrag zu machen. Jimmy, der ins Taumeln geriet, als er sie über die Schwelle trug. Jimmy, der ihr neun oder zehn Kinder versprach. Jimmy, außer sich vor Glück, als sie ihm sagte, dass sie schwanger sei. Jimmy, der sie mit Diamanten und Perlen überschüttete. Jimmy, der sie auf spontane Einkaufstouren entführte und ihr die halbe Stadt zu Füßen legte.
Jimmy, der mit dem Hausmädchen, dem Kindermädchen und ihren Freundinnen schlief. Jimmy, der sich in die Kneipe verdrückt hatte, als Nathan zum ersten Mal in die Notaufnahme musste. Jimmy, der mit der Faust ein Loch in die Wand schlug, als sie anzudeuten wagte, er solle doch weniger trinken. Jimmy, der ihr die Faust in die Rippen rammte, als sie so unvorsichtig war, zu erwähnen, dass mit Nathan etwas nicht stimmen könnte.
Dann, vor sechs Monaten, hatte Jimmy das Versteck mit den Briefen von ihrem Liebhaber gefunden. Um vier Uhr morgens war er ins Schlafzimmer gekommen, hatte sie einfach auf den Bauch gedreht, sie in die Matratze gepresst und sie anal vergewaltigt.
»Vielleicht hätte ich das von Anfang an machen sollen«, sagte er danach. »Dann hättest du möglicherweise etwas gespürt.«
Einige Stunden später saßen sie einander am Frühstückstisch gegenüber, und er plauderte über das Wetter. Jetzt rollte Catherine sich auf der Matratze zusammen. Sie legte die Hand auf die leere Stelle, wo ihr Mann früher geschlafen hatte. Und sie erinnerte sich an den letzten Ausdruck auf seinem Gesicht, in dem Moment, als die Kugel in die empfindliche Stelle hinter dem Ohr eindrang, und kurz bevor sie, den harten Schläfenknochen zerschmetternd, wieder austrat. Seine Miene war weder anziehend noch verwegen noch charmant gewesen, sondern nur abgrundtief enttäuscht. Inzwischen fragte sie sich, was ihn wohl mehr erbittert hatte, sein eigener unmittelbar bevorstehender Tod oder die Tatsache, dass es ihm nicht gelungen war, sie zuerst umzubringen?
Aus Nathans Zimmer ertönte ein Poltern. Prudence rief ihren Namen, und Catherine hastete den Flur entlang, überrascht von den Tränen auf ihrem eigenen Gesicht.
Im Krankenhaus wurden laute Anweisungen gegeben und unmittelbar befolgt. Ein Nadelstich, und eine Schwester hatte die Blutprobe genommen. Noch ein schmerzhafter Piekser, und die Infusion saß. Ein drittes Bohren, und man hatte Nathan einen Katheter angelegt. Nathans nur fünfzehn Kilo schwerer Körper zuckte im Krankenhausbett und bäumte sich, im Versuch, sich hochzusetzen, auf. Seine Wangen glühten, auf seinen Armen und Beinen glänzte der Schweiß. Sein Leib war schmerzhaft angeschwollen, und bei jedem seiner mühsamen Atemzüge schien es ihm die Brust zusammenzuziehen.
»Starke Schmerzen im Oberbauchbereich«, rief ein Assistenzarzt.
»Temperatur vierzig Grad«, meldete eine Krankenschwester. »Puls einhundertfünfzig, Blutdruck einhundertfünfzehn zu vierzig ...«
Dr. Rocco bellte bereits Befehle. »Ich brauche zwei Milligramm Morphium, kalte Kompressen, Nährlösung. Los, los, Bewegung, Leute.«
Bei ihrer ersten Konfrontation mit dieser
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