Lauf, wenn du kannst
nicht um deine Rasse«, betonte anschließend jeder, bevor er einen Mithäftling krankenhausreif prügelte.
Der Mann genoss einige Tage die Hochstimmung, bevor er sich wieder der aufregenden Alltagsbeschäftigung zuwandte, der Farbe beim Trocknen zuzusehen.
Allerdings wurde inzwischen über den geheimnisvollen Mr Bosu getuschelt. Offenbar hatte er Freunde und Beziehungen. Zwar wusste niemand so genau, wer dieser Mr Bosu war, aber anscheinend verfügte er auch hinter Gittern über beträchtlichen Einfluss.
Der Mann war zufrieden. Aus den düsteren Gemäuern der Einzelhaft heraus hatte er etwas Großes vollbracht – für seine Mitgefangenen war er nun der schwarze Mann.
Nun war der Mann, während er täglich seine Runden um den Hof joggte, Liegestützen, Klimmzüge, Rumpfbeugen und Kniebeugen machte, sicher, dass es für ihn ein Leben nach der Haft gab. Er würde freikommen und in die Welt zurückkehren. Härter, schlauer und unbesiegbarer als je zuvor.
Und es würde ein tolles Leben werden.
Damals war er ein Junge gewesen und hatte seinen Impulsen gehorcht. Dabei waren ihm Fehler unterlaufen. Heute war er ein Mann. Er war mit allen Wassern gewaschen. Er wusste, wann man sich besser in Geduld übte. Und er kannte das Rechtsystem wie seine Westentasche.
Für den ruhmreichen Mr Bosu kam ein Job bei McDonald’s überhaupt nicht in Frage. Er würde sich nicht krumm schuften, Tag für Tag an einem schlecht bezahlten Arbeitsplatz erscheinen und auch noch dankbar dafür sein, dass jemand einem entlassenen Strafgefangenen wie ihm überhaupt eine Chance gab.
Er hatte seine Zeit abgesessen. Und er hatte nicht vor, wieder ins Gefängnis zu gehen.
O nein, da hatte er ganz andere Pläne. Seine berufliche Zukunft stand bereits ganz genau fest. Er hatte sich alles gründlich überlegt, und zwar schon bevor Wohltäter X, dem er seine pünktliche Entlassung auf Bewährung verdankte, sich mit ihm in Verbindung gesetzt und ihm eine Liste von Erledigungen aufgetragen hatte.
Mr Bosu würde eine ordentliche Stange Geld verdienen. Und zwar, indem er das tat, was er am besten beherrschte: willkürlich töten.
Der Mann schmunzelte. Dann knüllte er den Pappbecher, in dem sein Kaffee gewesen war, mit einer Faust zusammen und stand auf. Nun drehten sich die Leute um. Sie starrten ihn an. Und wandten sich rasch wieder ab.
Vor fünfundzwanzig Jahren hatte Mr Bosu einen Fehler gemacht. Er hatte sie am Leben gelassen.
So etwas würde ihm nicht wieder passieren.
12
Catherine fuhr zu ihrem Vater. Es dämmerte schon, und ein weiterer Tag starb einen frühen Wintertod. Sie war müde und erschöpft bis ins Mark, sodass sie das Lenkrad zu fest umfasste und unruhig auf ihrem Sitz herumrutschte. Jimmy hatte sie immer damit aufgezogen, sie sei eine entsetzliche Fahrerin und würde auf einer langen Strecke vermutlich noch vor der ersten Rast einschlafen und sich umbringen.
Als sie jetzt an ihn dachte, durchzuckte sie tief in ihrem Innersten ein scharfer Schmerz. Wie lange war es her, dass sie ein freundliches Wort miteinander gewechselt hatten? Seit wie vielen Jahren hatten sie nicht einmal mehr so getan, als liebten sie sich? Vermutlich spielte das keine Rolle. Er war eine feste Größe in ihrem Leben gewesen, und nun vermisste sie ihn, wie andere Menschen amputierte Gliedmaßen vermissten. Früher war sie intakt gewesen, nun fühlte sie sich auf merkwürdige Weise unvollständig.
Sie erreichte das Stadtviertel, in dem ihr Vater wohnte. Ihr Stadtviertel. Ihre Eltern hatten das Haus gekauft, als sie fünf gewesen war. Das anderthalbgeschossige Gebäude im Ranchhausstil stand auf tausend Quadratmetern Grund zwischen anderen bescheidenen Häusern auf bescheidenen Grundstücken. Im Laufe der Jahre hatte sich kaum etwas verändert. Ihr Vater strich die Fassade weiter weiß und die Fensterläden rot. Am Dienstag kam die Müllabfuhr. Am Samstag erledigten die Nachbarn ihre Gartenarbeit. Und jeden Mittwochabend traf sich ihr Vater mit den McGlashans und den Bodells zum Biertrinken und Kartenspielen. Bestimmt hatte er ihr viel über die Kinder und Enkel dieser Leute zu erzählen. Gleichaltrige, mit denen sie aufgewachsen war und die nun als Erwachsene Supermarktfilialen leiteten, in Banken arbeiteten, Minivans fuhren, selbst anderthalbgeschossige Häuser bewohnten und blondschopfige Kinder und große lebhafte Hunde hatten. Ehemalige Spielkameraden, die ein normales und glückliches Leben führten.
Manchmal, kurz nachdem es geschehen war,
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