Lauf, wenn du kannst
nachzuhängen. Wenn er in Bewegung blieb, konnte er seinen Erinnerungen vielleicht entfliehen. Wenn er immerzu lief und lief, würde er vor Erschöpfung vielleicht aufhören, zu denken.
Achtzehn Kilometer später. Atemlos. Verschwitzt. Durchgefroren.
Endlich machte er sich auf dem Heimweg. Seine Füße waren müde, aber sein Verstand arbeitete fieberhaft.
Er wünschte, die Uhr zurückdrehen zu können. Den Finger vom Abzug zu nehmen, in der Sekunde, bevor er Jimmy Gagnons Kopf anvisierte. Am besten wäre es gewesen, er hätte nie von den Gagnons gehört, denn inzwischen war er zum ersten Mal nicht mehr sicher, was er eigentlich gesehen oder warum er so gehandelt hatte. Und das war das wirklich Beängstigende an dieser Situation.
Drei Tage später befürchtete Bobby nicht mehr, Catherine Gagnon könnte eine Mörderin sein. Er hatte Angst, er selbst könnte einen Mord begangen haben. Bobby lief nach Hause.
Er rief Susan an.
Sie wollte sich in einem Cafe treffen. Sie entschieden sich für eine Starbucks-Filiale in der Innenstadt. Neutrales Gebiet.
Bobby verbrachte zu viel Zeit damit, sich zu überlegen, was er anziehen sollte. Schließlich entschied er sich für Jeans und ein langärmeliges Hemd aus Batist, da ihm zu spät eingefallen war, dass Susan es ihm zu Weihnachten geschenkt hatte. Als er seine Brieftasche suchte, stieß er auf ein Foto, das sie gemeinsam auf einer Bergtour zeigte, und seine Gefühle spielten wieder verrückt.
Er vertauschte das Batisthemd mit einem dunkelgrünen Trikot und machte sich auf den Weg.
Rein geschäftlich, sagte er sich. Alles rein geschäftlich. Susan erwartete ihn schon. Sie saß an einem kleinen Tisch, versteckt hinter einer gewaltigen Pyramide aus Kaffeetassen mit silberfarbenem und grünem Emblem. Das Haar trug sie mit einer Spange im Nacken zusammengefasst. Lange blonde Strähnen waren bereits herausgerutscht und lockten sich um ihr Gesicht. Bei seinem Anblick begann sie sofort, die entkommenen Haarsträhnen hinter die Ohren zu schieben, wie sie es immer tat, wenn sie nervös war. Bobby spürte einen Stich in der Brust und tat sein Bestes, nicht darauf zu achten.
»Guten Abend«, sagte er.
»Guten Abend.«
Verlegenheit entstand. Sollte er sich zu ihr hinunterbeugen und sie auf die Wange küssen? Sollte sie aufstehen, um ihn freundschaftlich zu umarmen? Oder sollten sie sich etwa die Hand schütteln?
Bobby seufzte tief auf und wies dann mit einer ruckartigen Kopfbewegung auf die Theke. »Ich hole mir einen Kaffee? Möchtest du etwas?«
Sie deutete auf den riesigen schaumgekrönten Becher, der vor ihr stand. »Nein danke.«
Bobby verabscheute Starbucks. Während er die Liste mit den Dutzenden verschiedener Espressosorten studierte, fragte er sich wieder einmal, wie man so viel Geld mit einem Cafe verdienen konnte, in dem man nicht einmal einen ganz normalen Kaffee bekam. Schließlich entschied er sich für einen French Roast, der, wie die lebhafte Kassiererin ihm versicherte, zwar dunkel, aber mild war.
»Und wie geht es dir so?«, erkundigte er sich, als er endlich den Becher abstellte und Platz nahm.
»Viel zu tun. Das Konzert und so weiter.«
»Wie läuft es?«
Sie zuckte die Achseln. »Panisch wie immer.«
»Gut.« Er trank einen Schluck Kaffee, spürte, wie eine bittere Spur sich bis hinunter in seine Eingeweide zog, und bekam plötzlich schreckliche Sehnsucht nach dem Bogey’s.
»Und bei dir?«, fragte Susan. Sie rührte ihren Kaffee nicht an und drehte nur den Becher zwischen den Händen.
»Bobby?«
Er zwang sich, sie anzusehen. »Ich schlage mich so durch.«
»Ich dachte, du würdest mich am Freitag anrufen.«
»Ich weiß.«
»Ich habe die Zeitung gelesen und war so ... traurig. Darüber, was geschehen ist und wie du dich deshalb fühlen musst. Am Freitag habe ich den ganzen Abend auf deinen Anruf gewartet. Dann bin ich auf den Gedanken gekommen, in deine Schublade zu schauen. Stell dir vor, wie überrascht ich war, Bobby, als ich sie leer vorfand.« Sein Blick wanderte zu der Kaffeebecherpyramide, während sie sein Gesicht fixierte. »Du warst nie ein sehr zugänglicher Mensch, Bobby. Früher habe ich mir gesagt, dass das einen Teil deiner Anziehungskraft ausmacht. Der starke, schweigsame Typ. Ein richtiger Macho eben. Tja, inzwischen finde ich es nicht mehr sehr anziehend, Bobby. Nach zwei Jahren habe ich so einen Scheißdreck nicht verdient.«
Der unerwartete Kraftausdruck ließ Bobby zusammenzucken, und er sah sie an.
Sie nickte
Weitere Kostenlose Bücher