Laufend loslassen
verstehen. „Una señora famosa.“, korrigieren sie, immer noch sehr erheitert.
Als wir endlich in die Albergue dürfen, genießen wir nach dem üblichen Ritual den Patio mit dem plätschernden Brunnen. Dennis und ich kaufen ein, Verena schläft noch ein bisschen. Anschließend kochen wir zu dritt. Auch Bernard, der liebenswürdige und hilfsbereite Franzose, den ich schon seit Boncue kenne und der es schafft, immer als einer der Ersten zu starten und als einer der Ersten anzukommen, kocht gerade sein Abendessen. Wir wollen ihn einladen, aber das lehnt er freundlich ab. Während Verena noch ein paar vergessene Sachen für den morgigen Pilgertag besorgt, gehen Dennis und ich in die Kathedrale Sta. María de la Redonda, wo wir auch die beiden österreichischen Schwestern finden, die wir schon in Estella auf der Suche nach dem Gottesdienst getroffen haben. Wieder sind sie wie aus dem Ei gepellt.
Der Priester predigt über Santiago, also den heiligen Jakobus, denn am nächsten Tag ist das Fest des Heiligen.
Er spricht darüber, wie wenig Genaues über das Wirken und selbst über das Grab des Apostels in Spanien bekannt ist, und dass er mit seiner Mission zu Lebzeiten wohl nicht sehr erfolgreich war. Dafür sei später und bis heute die heilsame Wirkung, die auf die Menschen ausströmt, die zu seinem Grab unterwegs sind, umso stärker geworden.
Ja, auch ich habe diese Kraft schon gespürt, und neuer Lebensmut hat sich in mir entwickelt.
Mittwoch, 25. Juli
Um fünf Uhr werde ich wach, fühle mich einigermaßen ausgeschlafen. Pünktlich um sechs stehen wir auf der noch nachtdunklen Straße Rua Vieja und ziehen durch die Altstadt nach Westen. Noch sind nur wenige Pilger zu sehen. Auf geteerten Straßen geht es dann leicht bergauf, bis wir den Parque La Grajera erreichen. Auf der Nordseite eines kleinen Stausees geht es auf Pfaden weiter, dann wieder auf einer Piste.
Wir laufen schnelles Tempo. Langsam merke ich, wie ich den Anschluss an die anderen verliere, erst Zentimeter für Zentimeter, dann Meter für Meter. Dennis und Verena haben schon 30 Meter Vorsprung, als das Brot, das ich hinten am Rucksack auf das Zelt geschnallt habe, sich löst und herunterfällt. Ich rufe, aber Dennis und Verena hören es nicht. Ich setze den Rucksack ab, schnalle das Brot wieder fest, entferne noch einen Fremdkörper aus dem Schuh, setze den Rucksack wieder auf und - die beiden anderen sind über alle Berge verschwunden. Während ich mein höchstes Tempo einlege, wobei es mir nicht gut geht, geht mir allerlei durch den Kopf. Was, wenn ich das Tempo der beiden jungen Leute, jetzt, wo sie kaum mehr Knieprobleme haben, nicht mehr mithalten kann? Was, wenn ich ihnen wie ein Bremsklotz vorkomme? Was, wenn ich selbst merke, dass mir dieses schnelle Laufen nicht guttut? Ich stelle fest, dass ich mir wünsche, dass meine Bedürfnisse wahrgenommen werden. Ich merke auch, dass ich niemandem lästig werden möchte und dass ich mich dann eher zurückziehe. Ich denke darüber nach, wie oft und wo ich wohl die Botschaft „Belästige mich nicht!.“ vermittelt bekommen habe, ausdrücklich oder, wahrscheinlicher, unausgesprochen. Ich merke, dass ich Verena und Dennis nicht verlieren will. Ich habe die beiden in der Woche, die wir jetzt miteinander unterwegs sind, schon sehr ins Herz geschlossen. So und ähnlich grübelnd versuche ich wieder Anschluss zu finden. Navarete ist schon in Sicht, als es mir endlich gelingt, weil die beiden warten.
Wir laufen zusammen an der Schnellstraße entlang auf steinigen Wegen. Die Ruinen des früheren Pilgerhospitals San Juan de Acre passieren wir schnell, durchqueren den Ort. Jetzt werden auch meine beiden Begleiter müde. An der kleinen Eremita Santa Maria de Jesús am Ortsende machen wir Rast, direkt neben einem Pilgergrab von 1986. Ich erzähle ihnen von meinen Gedanken, die ich hatte, als ich hinter ihnen herlief. Ich finde Verständnis.
Im folgenden Stück sind viele Rioja-Weinberge um uns herum, sie dominieren zeitweise die Landschaft. Wir sind beim Wandern ins Gespräch vertieft, ich erzähle von Koans, diesen scheinbar absurden Rätseln aus dem Zen, die dazu helfen sollen, die Illusion aufzugeben, dass das Ich eine vom Rest abgegrenzte Existenz habe. „Wenn man mit beiden Händen klatscht, hat man einen Ton. Welches ist der Ton der einen Hand?.“, ist eines der bekanntesten. „Zeig mir dein Gesicht, das du hattest, bevor deine Eltern geboren wurden.“, ist ein anderes. Wir sprechen darüber,
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