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Laugenweckle zum Frühstück

Laugenweckle zum Frühstück

Titel: Laugenweckle zum Frühstück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Kabatek
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Berg, Hügel, Tal und Felder, Berg, Hügel ...«
    Das war eigentlich ein schöner alter Text von Paulchen Gerhardt. Leider war mein inneres Ohr noch schlimmeren Qualen ausgesetzt als mein inneres Auge. Die liebe Familie sang fünfstimmig, was theoretisch hübsch hätte klingen können, wenn die Stimmen zusammengepasst hätten. Und wo war ich eigentlich? Ach, ich lag gefesselt und geknebelt in der Ecke und Dieter Bohlen rief: »Nein, du wirst nicht singen! Nein, du wirst nicht singen!« Das war ja un-er-träglich! Meine Nase begann wieder zu laufen. Schnell öffnete ich die Augen.
    Die Sonne knallte zum Fenster herein. Ich hatte keine Ruhe. Ich hatte genug Zeit in Quarantäne verbracht. Außerdem tat mir der Rücken weh vom vielen Liegen. Da mich niemand zu einer Masernparty eingeladen hatte und Rotkäppchen wie ein Blitz abgezischt war, würde ich eben alleine einen gemächlichen Spaziergang in der Frühlingssonne machen, mich irgendwo auf eine Bank in die Sonne setzen und über
den Kuss
nachdenken. Auf dem Rückweg würde ich zwei Stück Kuchen holen und Lila zum Kaffee einladen. Abends würde ich früh zu Bett gehen, um rasch zu genesen. Ein guter Plan. Ein hervorragender Plan!
    Ich tauschte den Jogginganzug gegen Jeans und Sweatshirt, zog meine Daunenjacke darüber, um mich nicht gleich wieder zu erkälten, steckte zwei Packungen Tempos und etwas Geld ein und trat ins Treppenhaus. Samstag. Natürlich. Kehrwochenjourfixe. Im dritten Stock machten Frau Müller-Thurgau und Herr Tellerle, sie links, er rechts des Treppenabsatzes auf einen Besen gestützt, ein
Pow Wow
und blickten mir erwartungsvoll entgegen.
    »So, kenna mr wiedr uff sai!«, sagte Herr Tellerle.
    »Semmr wiedr uff de Fieß!«, sagte Frau Müller-Thurgau. 10
    »Sie sähn abr no ned wiedr richtig gsond aus!«, sagte Herr Tellerle.
    »Gangad Se liebr wiedr ens Bett! Draußa ischs käldr als aussieht!« sagte Frau M.-T.
    »I fiel mi heid au wie a heniche Henn. Wahrscheins han i mi bei Ihne agschdeckt«, 11 sagte Herr Tellerle.
    Mir war nicht so ganz klar, wie sich Herr Tellerle bei mir angesteckt haben wollte. Geküsst hatte ich ihn nicht, so viel war sicher.
    »Ein bisschen frische Luft wird schon nicht schaden«, entgegnete ich matt, ohne mich auf ein längeres Gespräch einzulassen, umschiffte feuchte Lappen und Putzeimer und ging langsam über die frisch gewischte Treppe in den zweiten Stock. Dort standen Herr Dobermann und Enrico Silicone, in identischer Pose wie ihre Nachbarn, und musterten mich, als sähen sie mich zum ersten Mal. Ich murmelte einen Gruß. Noch mehr feuchte Treppe. Na ja, sie würden sowieso nochmal drübergehen. Hinter mir hörte ich Getuschel. Alte Klatschbasen.
    Ich öffnete die Haustür und trat hinaus in die Frühlingssonne. Okay, so richtig warm war es wirklich nicht, aber schließlich hatten noch vor ein paar Tagen winterliche Temperaturen geherrscht und an einem windgeschützten Plätzchen am
Blauen Weg
ließ es sich sicher gut aushalten. Mir fiel der Opernabend mit Eric ein. Eric. Komisch. Ich hatte seit unserem missglückten Date praktisch keinen Gedanken an ihn verschwendet. Er hatte auch nicht angerufen. Im Zeitalter des Handys gab es dafür eigentlich keinen Grund, es sei denn, Eric saß in einem Funkloch im Dschungel von Borneo und ein Orang-Utan hatte ihm auch noch das Handy geklaut. Er hatte es nicht mal für nötig befunden, mir zu sagen, wo er hinfuhr. Eigentlich war es mir auch ziemlich egal. Der Gedanke an Eric wurde sofort von
dem Kuss
überlagert.
    Der Axtmörder war nirgends zu sehen. Stattdessen herrschte überall emsige Betriebsamkeit. Der Schwabe an sich war ja schon ein munteres Wesen, aber im Frühling wurde er noch munterer. Bei
Hailas
, der lustigen Reinigung mit Wohnzimmeratmosphäre, gaben sich die Kunden die Klinke in die Hand, vor dem Nachbarhaus wurde gekehrt und am Straßenrand beugten sich zwei ölverschmierte Gesichter mit Migrationshintergrund über einen geöffneten Motorraum. Auf der anderen Straßenseite putzte jemand im zweiten Stock die Fenster. Das hatte ich schon lange aufgegeben. Bei den vielen Abgasen sahen sie nach zwei Tagen wieder so schmutzig aus wie vorher.
    Ich fand eine Lücke im Verkehr und überquerte die Reinsburgstraße. Wie anders sah die Staffel, die ich erst vor ein paar Tagen mit Leon hochgejoggt war, in der Frühlingssonne aus. Na ja, hochgekeucht entsprach wohl eher der Wahrheit. Jetzt keuchte ich auch, obwohl ich langsam ging. Ich hatte meine körperliche Bestform

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