Laugenweckle zum Frühstück
Leon. »Seit ich hier in Stuttgart wohne, ist mein Leben irgendwie viel lustiger geworden.« Er grinste mich an, als hätte das irgendetwas mit mir zu tun. Offensichtlich glaubte er, seit der Nacht im
Café Weiß
an einer nicht enden wollenden Folkloreveranstaltung teilzunehmen. »Ihr habt auch eindeutig den komischeren Minister-präsidenten.«
»Komisch?« Man konnte viel über Oettinger sagen. Aber komisch?
»Er war doch gerade in Südafrika. Und da hat er vor den Schülern der deutschen Schule in Johannesburg gesagt – ich hab’s auswendig gelernt, damit ich es beim nächsten Hamburgbesuch zitieren kann: ›Der junge Arbeitslose steht dann rum, kommt auf dumme Gedanken, wird kriminell oder kriegt Aids.‹ Solche lustigen Sachen sagt Ole von Beust nicht.«
Lila knüllte ihre Hähnchen-Tüte zusammen und zielte auf den nächsten Mülleimer. »Nicht wegwerfen!«, brüllte Leon. »Das ist Beweismaterial! Das darfst du nicht vernichten!«
»Du kannst einen ganz schön erschrecken«, sagte ich. »So wie vorher mit dem Kind. Da dachte ich, ich hätte einen echten Leoparden vor mir.«
»Nicht wahr, das traut man mir gar nicht zu«, sagte Leon und wirkte sehr zufrieden mit sich selbst. »Außerdem finde ich, Kinder sollten frühzeitig lernen, dass wilde Tiere keine Kuscheltiere sind, nur weil man sie in Eisbärenform in der Wilhelma bewundert.«
Lila drückte Leon die Papiertüte in die Hand. »Wenn du die fettige Tüte unbedingt haben willst, bitte. So, ich werde euch jetzt verlassen. Ich bin auf der Treppe am Schlossplatz mit den Kids aus meiner Wohngruppe verabredet, um ins Kino zu gehen.«
»Bestimmt irgendwas pädagogisch Wertvolles, oder?« fragte ich. «
Die Welle
oder
Unsere Erde?
Damit sie mal auf andere Gedanken kommen?«
»Klar«, sagte sie. »Einer der Jungs hat Geburtstag und durfte sich einen Film wünschen. Er hat sich für
Rambo 4
entschieden. 236 Tote, im Schnitt drei pro Minute. Das einzig pädagogisch Wertvolle bin ich.« Sie seufzte. »Leg dein Telefon neben das Bett, Line, falls ich heute Nacht jemanden brauche, der mir zum Einschlafen
Schlaf, Kindlein, schlaf
ins Ohr säuselt, um meine Nerven zu beruhigen.«
»Ich glaube nicht, dass du einschläfst, wenn ich singe«, winkte ich ab.
Lila säuberte sich die Hände an einem Tempo-Taschentuch, warf es in den Mülleimer und verschwand um die Ecke. Langsam wurde es kalt auf den Stufen. Außerdem machte es mich nervös, mit Leon allein zu sein. Ich stand auf. Leon blieb sitzen.
»Hast du auch noch Lust, etwas zu unternehmen?«, fragte er. »Hier nebendran ist doch eine Pizzeria. So richtig gegessen haben wir ja nicht.«
»Ehrlich gesagt hatte ich für heute genug Aufregung«, sagte ich. »Ich gehe nach Hause, dusche heiß und lege mich früh ins Bett. Ich bin ziemlich erledigt.«
Leon nickte. »Klar, du bist ja auch noch nicht wieder ganz fit.«
Besonders enttäuscht schien er nicht zu sein. Wahrscheinlich hatte er mir nur aus Höflichkeit angeboten, den Samstagabend mit mir zu verbringen.
Um nicht wieder an der McGöckele-Filiale vorbei zu müssen, gingen wir die Tübinger Straße entlang bis zur Sophienstraße und bogen dort erst nach rechts ab. Aus allen Richtungen strömten Menschen Richtung Kino oder Kneipe, vom schönen Wetter auf die Straße gelockt. Eigentlich war das kein Abend, um nach Hause zu gehen. Zwanzig Minuten später standen wir im fünften Stock unseres Mietshauses, jeder vor seiner Wohnungstür.
»Na dann, schönen Abend noch«, sagte Leon und drückte mir die Papiertüte mit meinem Konterfei in die Hand.
»Na dann«, sagte ich. »Dir auch.«
»Falls du morgen Lust auf einen Frühlingsspaziergang hast, lass es mich wissen«, sagte Leon. Ja, natürlich. Den Teufel würde ich tun, mit Leon zwischen Veilchen und Buschwindröschen herumzuspazieren, die flinken Eichhörnchen zu beobachten und den Vögelchen beim Nestbau zuzusehen. Eine schlechtere Methode gab es wohl kaum, um mir den Kerl aus dem Kopf zu schlagen.
»Ja, schau’n wir mal«, sagte ich matt.
Die Wohnung war völlig ausgekühlt. Ich stellte den Gasofen an und ließ mich erschöpft auf mein Sofa fallen. Ich hatte morgens euphorisch die Heizung abgedreht, aber es war eben doch noch nicht richtig Frühling. Der Anrufbeantworter blinkte und zeigte sechs neue Nachrichten an. Fünf davon waren von Tanten, Onkels und Kusinen, die zum Einkaufen in die Stadt gefahren waren und begeisterte, entsetzte, besorgte oder empörte Kommentare darüber abgaben, dass ich zur
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