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Laugenweckle zum Frühstück

Laugenweckle zum Frühstück

Titel: Laugenweckle zum Frühstück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Kabatek
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sich mittlerweile aus der Diskussion ausgeklinkt und widmete sich mit Hingabe seinem Hähnchen.
    »Also Line, man kann sagen, was man will, aber dies ist ein ausgesprochen leckeres – wie heißt das noch gleich? – Göckele.« Er schob sich ein Stück weißes Fleisch in den Mund und kaute mit Hingabe.
    »Wenigstens etwas«, sagte ich und fing ebenfalls wieder an zu essen. Es war gar nicht so einfach mit dem tief ins Gesicht gezogenen Sombrero. Ich sah nach links und rechts. Niemand beachtete uns. Alle waren mit ihren Göckele beschäftigt.
    Ich schubste den Sombrero etwas nach oben. Niemand reagierte. Für den Göckele-Verzehr brachte es nur unwesentliche Verbesserungen. Ich gab dem Sombrero noch einen Schubs. Er rutschte von meinem Kopf und blieb auf dem Rücken hängen, gehalten von der Schnur an meinem Hals. Leon und Lila hörten auf zu essen und sahen mich besorgt an.
    Ich beugte mich über das Göckele. »Nur zum Essen«, murmelte ich. Niemand würde mich bemerken. Das wusste man ja auch von Vergewaltigungen oder rassistischen Übergriffen in der Öffentlichkeit. Die Leute schauten gar nicht hin. Wir lebten in einer völlig anonymen Gesellschaft, in der keiner den anderen beachtete.
    »Mama, guck mol, des isch die Frau von dem Poschdr!« Am Nachbartisch saß eine Familie mit drei offensichtlich aufgeweckten Sprößlingen unterschiedlicher Größe und unterschiedlichen Geschlechts. Das Kind, das mich entdeckt hatte, ein vielleicht achtjähriger sommersprossiger Junge, deutete mit dem Zeigefinger auf mich. Die beiden Geschwister machten nach kurzer Schrecksekunde begeistert mit. Drei Zeigefinger. Drei johlende Kinder.
    Lila stöhnte. So schnell ich konnte, schob ich den Sombrero wieder zurück auf meinen Kopf. Aber es war zu spät. Das helle Stimmchen des kleinen Jungen hatte die komplette Kundschaft von McGöckele alarmiert. Die Stimmen wurden lauter und aufgeregter. Unzählige Finger deuteten auf mich.
    »Des isch beschdimmd so a Gewinnspiel von McGöckele!«, rief der Vater des kleinen Jungen. »Ond mei Jonger hott se zerscht gsäh! Jetzt gwänna mr sicher äbbes!«
    Er sprang auf und baute sich vor mir auf. »Gell, mir hen jetzt äbbes gwonna! Was isch’s denn, a Hymer Wohnmobil?«
    Die drei Kinder hüpften neben ihrem Vater auf und ab wie Gummibälle.
    »I wars, Bappe, krieg i jetzt die neie Bläistäischn?«, rief der kleine Junge.
    »Auf drei«, flüsterte Leon. »Eins, zwei, drei!«
    Wir sprangen gleichzeitig auf und rissen dabei die Hocker um. Einer der Hocker fiel dem Vater auf die Füße. Er stieß einen lauten Fluch aus. Der Junge, der mich entdeckt hatte, machte einen Hechtsprung und klammerte sich an mein linkes Bein. »Du kannsch doch jetzt ned oifach abhaua!«, brüllte er. »I will mei Bläistäischn!« Ich versuchte verzweifelt, das Kind abzuschütteln, aber es hing an meinem Bein wie ein Stück Blei. Leon packte den Jungen an den Schultern, riss die Augen auf und stieß ein lautes Fauchen aus wie ein gereizter Leopard. Das Kind ließ mein Hosenbein los und brach in lautes Geheule aus. Die Mutter fing hysterisch an zu kreischen: »Bolizei, Bolizei! Der Saukerle hot mei Kend draumadisiert!«
    Wir bahnten uns einen Weg durch den wild durcheinander redenden und gestikulierenden Mob. Niemand versuchte, uns aufzuhalten. Kaum waren wir draußen, fingen wir an zu rennen, die Straße hinunter, am
Alten Schauspielhaus
vorbei.
    »Nicht so schnell«, keuchte Lila. »Ich komme nicht mit!«
    Wir sahen uns um. Niemand verfolgte uns. Wir verfielen in Schritttempo und bogen in die Tübinger Straße ein. Vor dem Kino
Delphi
blieben wir atemlos stehen und ließen uns erschöpft auf die Stufen fallen.
    »Junge, Junge«, keuchte Leon. »Ich muss schon sagen, diese Süddeutschen. Bei uns im Norden geht es diskreter zu.«
    »Line, warum musstest du auch das Schicksal herausfordern?«, fragte Lila vorwurfsvoll. Sie hatte die Tüte mit dem halb gegessenen Hähnchen auf der Flucht mitgehen lassen und machte sich jetzt über die Reste her.
    Ich zuckte hilflos mit den Schultern und zog den Sombrero tiefer ins Gesicht. »Es tut mir leid. Ich dachte, es fällt keinem auf.«
    »Klar«, sagte Lila sarkastisch. »Klar, damit war ja auch zu rechnen. Es passiert ja nie etwas da, wo du bist.« War das eine Aufforderung, mich vor Leon zu outen? Niemals. Niemals würde ich Leon von meinem Katastrophen-Gen erzählen! Sollte er doch alles für eine seltsame Verkettung von Zufällen halten.
    »Also, ich beschwere mich nicht«, sagte

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