Laugenweckle zum Frühstück
saß und blöd guckte, und es gab ziemlich viele Passanten.
Ich hatte keine Lust mehr, freundlich, ernst, verträumt oder melancholisch zu gucken, ich guckte allmählich ziemlich böse. Als ich endlich die Fotos in der Hand hielt, sah ich aus wie eine böse, böse Terroristin von al-Qaida, die gerade durch den Staub von Ibn-Al-Chassis gerobbt war. Die Bluse war reinigungsreif. Eine Sekunde lang dachte ich an diesen unglaublich französischen Film über diese unglaublich französische Amélie. In diesem Film war ein Passfoto-Automat etwas ganz Romantisches und führte schließlich dazu, dass die Heldin ihre große Liebe fand. Im U-Bahnhof Charlottenplatz, so viel war sicher, fand man keinen Lover. Nur ein paar Obdachlose und denen schenkte ich die Brezeln.
Obwohl ich auf den Fotos aussah wie Katastrophen-Jenny, hatte ich sie eingesteckt, um sie einem professionellen Fotografen als Beispiel vor die Nase zu halten, wie ich unbedingt
nicht
aussehen wollte. Für diesen Tag erklärte ich das Projekt für beendet. Die Bluse bettelte um einen mehrstündigen Koch-Waschgang und mein Vorrat an strahlendem Lächeln war für diesen Tag aufgebraucht.
Zurück zu Hause schob ich mir eine halbe Packung Pommes in den Ofen, klatschte eine viertel Flasche Ketchup darüber und aß vor dem Fernseher. Auf Nostalgie-TV lief
Daktari
. Clarence schielte, was das Zeug hielt, und gleich ging es mir besser. Anschließend weichte ich die Bluse im Waschbecken ein, nahm die Gelben Seiten, schloss die Augen und tippte blind auf irgendeine Adresse in der Sektion Fotostudios.
»Was für Fotos sollen es denn werden?«, flötete eine weibliche Stimme am Telefon, »Passfotos, Bewerbungsfotos, erotische Fotos für den Freund?«
»Äh, Bewerbungsfotos.«
»Dann empfehle ich Ihnen, auf keinen Fall etwas Weißes zu tragen. Das ist die schlechteste Wahl, die Sie treffen können, macht viel zu blass. Also auf keinen Fall das alte Konfirmationsblüschen ausgraben, gell!« Sie lachte sich schlapp. Ich knallte den Hörer auf und sah mir die Automatenfotos nochmal an. Die Bluse war schmutziggrau und machte mich gar nicht blass.
Den Nachmittag verbrachte ich mit Schlafen und surfte ein wenig auf den Seiten des Arbeitsamtes herum. Die Angebote waren großartig: Dringend benötigt wurden Mitarbeiter für Callcenter, Servicekräfte in der Gastronomie, Reinigungspersonal, Ingenieure, Bauarbeiter und IT-Fachkräfte. Allzu lange würde ich meinen Besuch beim Arbeitsamt nicht mehr hinauszögern können.
Um ehrlich zu sein: Ich war deprimiert. Es war zwar nicht besonders schön, täglich 12 bis 14 Stunden zu arbeiten, aber man musste sich nicht ständig darüber Gedanken machen, wie man den Tag herumkriegte. Ich dachte an Lila und konzentrierte mich auf all die positiven Dinge in meinem Leben: Ich wurde gebraucht (was hätten Herrn Tellerles Schleierschwänze ohne mich gemacht?), ich hatte eine fantastische Familie (auch wenn meine Eltern sich etwa so gut verstanden wie Tom & Jerry), ich würde mir für das Wochenende einen Besuch bei meiner reizenden Schwester und ihren entzückenden zwei Kindern vornehmen, und das Tiefkühlfach war gefüllt (Pommes! Pizza!). Ich hatte keinen Freund und es sah nicht so aus, als ob ich in absehbarer Zeit mit meinem ganz persönlichen Helden in den Sonnenuntergang von Stuttgart-Weilimdorf reiten würde, aber so blieben mir Beziehungsprobleme und schmerzhafte Betrugs- und Trennungsgeschichten erspart, was ein unglaublicher Vorteil war.
Da ich mich nicht schon wieder mit Lila betrinken konnte (obwohl, warum eigentlich nicht?), kochte ich abends einen großen Topf Chili con carne sin carne, um mich aufzuheitern. Chili con carne sin carne ist eines der wenigen Gerichte, die ich wirklich gut kochen kann, und meinem Geldbeutel tat es sowieso gut, das Fleisch wegzulassen.
Ich hatte mir gerade den Teller voll geschaufelt und den ersten Schluck Rotwein genommen (wer sagte denn, dass man sich nicht auch alleine betrinken konnte?), als es klingelte.
Ich wunderte mich ein bisschen, denn normalerweise bekam ich keinen unangemeldeten Besuch. Die Kommunikation mit den Nachbarn basierte auf zufälligen Treffen im Treppenhaus, die meistens darauf hinausliefen, dass man meine Art, die Kehrwoche zu machen, kritisierte. Ich hatte mir deshalb für das Treppenhaus einen Schmidtchen-Schleicher-Gang angewöhnt, um möglichst niemandem zu begegnen. Es klingelte zudem nicht nur einmal höflich-abwartend, sondern Sturm. Ich trat auf den Balkon, hängte
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