Laugenweckle zum Frühstück
Kaum zu glauben, dass sich Leons Augen erst vor einer halben Woche vor Überraschung und Bewunderung geweitet hatten, als wir uns zufällig auf der Treppe begegnet waren. Yvette. Hmm. Was war wohl aus Yvette geworden? Ich würde das Thema nachher beiläufig aufs Tapet bringen und Leons Reaktion genau beobachten. Männer waren in der Regel ahnungslos und ließen sich von Frauen aushorchen, ohne es zu merken.
Ich stellte mich unter die Dusche, weichte meinen Hals ein und sah zu, wie kleine getrocknete Quarkbrösel im Abfluss verschwanden. Ich wusch meine Haare, zog einen Jogginganzug an und machte das Wohnzimmerfenster weit auf. Auf der Reinsburgstraße dröhnte der Verkehr. Familien aus Böblingen, Sindelfingen, Vaihingen oder Gerlingen auf dem Weg zum Einkauf in der großen Stadt. Außer Abgasen hing ein Hauch von Vorfrühling in der Luft. Auf dem Tisch lag ein Zettel von Lila. Sie hatte ein Herz gemalt und in die Mitte »Gute Besserung« geschrieben und darunter: »Liebe Grüße von Dorle. Geht ihr besser. Ruf mich an, wenn du wach bist.«
Ich kochte eine Kanne Kaffee und stellte zwei Tassen auf den Tisch. Ein paar Minuten später klingelte es. Leon trug einen Korb unter dem Arm und sah aus wie Rotkäppchen.
»Hier. Frisches Obst, Käse und Brötchen vom Markt auf dem Bismarckplatz und Kirschjoghurt vom Supi. So einer mit viel rechtsdrehendem Bifidus, der ganz besonders gesund aussieht, mit vielen Blümchen und glücklichen Kühen drauf.«
Leon strahlte mich an, stolz wie Oskar.
»Das ist sehr nett von dir.« Es sollte keiner behaupten können, dass ich mich nicht bemühte.
Leon stellte den Korb in der Küche ab und legte Käse und Brötchentüte auf den Wohnzimmertisch. Mmm. Laugenweckle. Und Schokocroissants! Ich goss uns Kaffee ein und machte mich gierig über das erste Brötchen her. Mit jedem Bissen kamen meine Lebensgeister ein wenig mehr zurück. Andererseits fühlte ich mich ein bisschen unwohl mit Leon. Wie nach einer gemeinsam verbrachten Nacht ohne Nacht. Chili con carne sin carne.
»Du siehst schon viel besser aus.«
»Danke. Ich fühle mich auch viel besser, so frisch geduscht und ohne Quarkpampe am Hals.«
»Trotzdem solltest du heute nicht vor die Tür gehen. Du warst ziemlich krank.«
»Na ja, ein kleiner Spaziergang wird mir wohl nicht schaden. Es ist doch richtig mild draußen, oder?« Eigentlich hatte ich sogar überlegt, mit Leon eine kleine Runde zu drehen. So als Besiegelung unserer wiedererstarkten, rein freundschaftlichen und vollkommen asexuellen Beziehung.
»Bleib lieber noch einen Tag zu Hause. Der Wind ist kalt. Da fängt man sich ganz schnell wieder was ein. Wenn du was brauchst, lass es mich wissen.«
Dunkel erinnerte ich mich, dass Lila mich auch beschworen hatte, ja nicht vor die Tür zu gehen. Seltsam. Hatten sich Lila und Leon verbündet? Zog der Axtmörder gerade durch den Stuttgarter Westen?
»Du hast gestern mit Lila gesprochen, oder?«
»Ja. Sie ruft dich heute an. Und Herr Tellerle und Frau Müller-Thurgau lassen herzlich grüßen und wünschen gute Besserung. Herr Tellerle meldet sich nochmal wegen des Sperrmüll-Termins.«
»Sag bloß. Wie lange wohnst du jetzt hier? Du scheinst ja innigliche nachbarschaftliche Beziehungen zu pflegen. Mir ist das nie so richtig gelungen.« Leon grinste sein Leon-Grinsen.
»Man unterschätzt gerne den natürlichen Charme von uns Nordlichtern. Wir sind gar nicht so unterkühlt, wie man uns nachsagt. Im Gegenteil. Wir bemühen uns sehr um einen guten Kontakt zur einheimischen Bevölkerung.«
Schleimer. Wahrscheinlich hatte er bei Frau M.-T. wieder Kuchen abgestaubt.
»Aha. Und wie kommst du mit unserem schönen Dialekt zurecht?«
»Prima. Als ich das erste Mal beim Bäcker war und Brötchen kaufen wollte, schüttelte die Verkäuferin völlig entsetzt den Kopf und murmelte etwas, das ungefähr so klang: »Ha, Sie sind apr auch net von hier, gell!« Der Rest bestand aus gutturalen Lauten, die ich nicht verstand. Jetzt gehe ich zu einem anderen Bäcker und tue einfach so, als ob ich taubstumm wäre. Ich deute auf die Brötchen, die ich haben will, lächle freundlich, nicke wild und hebe dann so viele Finger hoch, wie ich Brötchen haben möchte. Das funktioniert prima. Die Bäckereifachverkäuferinnen gucken mitleidig, nehmen meinen Geldbeutel, zählen das Kleingeld ab, seufzen und halten mir nach dem Einkauf die Tür auf.«
»Wie geht es Yvette?«
»Gut.«
Gut. Das war alles? So ein Mist! Ich hatte gehofft, ihn mit dieser
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