Laura Leander 01 - Laura und das Geheimniss von Aventerra
angewiesen.
Dennoch verpasste sie ihrem Bruder einen aufmunternden Klaps. »Man kann nie wissen! Manchmal kommt einem der rettende Gedanke erst im allerletzten Augenblick, wenn niemand mehr damit rechnet.«
»Ja, klar doch«, brummte der Junge. »Aber leider nur im Märchen. Trotzdem - schlaft schön, ihr beiden!«
»Danke, Lukas«, antwortete Kaja, bemüht, ein Gähnen zu unterdrücken. »Du auch!«
Laura nickte ihrem Bruder zum Abschied zu. Sie wollte sich schon umwenden und in Richtung Mädchenflügel gehen, als sie plötzlich ein leises Schluchzen hörte. Überrascht blieb sie stehen. War das Silva, die da leise vor sich hin weinte?
Als Laura zu dem Gemälde aufschaute, sah sie, dass sie richtig vermutet hatte: Der jungen Frau auf dem Bild kullerten dicke Tränen über die Wangen.
»Aber, Silva, du weinst doch nicht wieder meinetwegen, oder?«, fragte Laura betroffen.
»Mit wem redest du, Laura?« Kaja war die Verwunderung anzuhören.
Auch Lukas schien neugierig geworden zu sein. Er machte kehrt und trat zu den Mädchen. Er schob die Brille von der Nasenspitze zurück und starrte Laura besorgt an.
Laura wollte die Freunde gerade über die geheimnisvollen Vorgänge aufklären, als Silva ihr den Kopf zudrehte und zu ihr sprach: »Natürlich, Laura, natürlich bist du es, die mich wieder zu Tränen treibt. Weil du noch immer nicht verstehst. Wie oft schon hat man dir erklärt, dass die Wahrheit meist unter der Oberfläche verborgen liegt? Aber du verstehst einfach nicht, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen!«
Die Frau in Weiß schüttelte ihr bleiches Haupt und ließ einen herzzerreißenden Seufzer hören. »Ach, Laura«, schluchzte sie. »Ich fürchte, es ist hoffnungslos!«
Silva blinzelte das Mädchen an. Eine dicke Träne löste sich aus ihrem Auge und nässte Lauras Wange. Dann drehte Silva den Kopf in die ursprüngliche Position zurück und erstarrte. Ihre Tränen versiegten, ihre Wangen trockneten wie von Geisterhand, und schon sah das Gemälde wieder genauso aus wie zuvor. Stumm und starr blickte die Weiße Frau in die Ferne, und zu ihren Füßen ruhte der schwarze Wolf.
Laura stierte mit offenem Mund vor sich hin und fuhr sich mit dem Zeigefinger über die feuchte Wange.
»Was ist denn los, Laura?«, wollte Lukas wissen.
Doch seine Schwester antwortete nicht. Sie wirkte wie abwesend und schien nichts um sich herum wahrzunehmen. Wie in Trance bewegte sie die Lippen und begann undeutliche Worte zu murmeln.
»Die Wahrheit ist meist unter der Oberfläche verborgen ... unter der Oberfläche verborgen ... der Oberfläche verborgen ... unter der Oberfläche -« Laura brach ab, und ein Strahlen ging über ihr Gesicht. »Ja, genau!«, rief sie aus. »Genau das ist es!«
Lukas und Kaja wechselten einen verständnislosen Blick.
»Hey - helft mir mal, das Bild abzunehmen!«, kommandierte Laura.
»Was?«, entfuhr es Lukas und Kaja fast gleichzeitig.
»Helft mir bitte, das Bild hier abzunehmen!«
»Was soll der Unsinn?«, protestierte Kaja. »Ich bin todmüde.«
Lukas dagegen wollte unbedingt den Grund für die ungewöhnliche Aktion erfahren.
Ein unwirscher Ausdruck zeigte sich für die Dauer eines Herzschlags auf Lauras Gesicht, bevor er hektischer Neugier wich. »Jetzt fragt nicht so lange!«, forderte sie ungeduldig, »sondern helft mir einfach.«
Laura rückte zwei Stühle unter das Bild, kletterte auf einen davon und fuhr ihren Bruder an: »Jetzt mach schon, Lukas - bitte!«
Lukas konnte den Kommandoton seiner Schwester nicht ausstehen. Trotzig verschränkte er die Arme vor der Brust und rührte sich nicht von der Stelle. Dabei fühlte er insgeheim, dass Laura auf der richtigen Spur war. Trotzdem! Er war einfach nicht gewillt, sich von ihr herumkommandieren zu lassen.
Kaja schnitt ihm eine Grimasse, kletterte auf den anderen Stuhl, fasste den Bilderrahmen und half Laura, das Gemälde von der Wand zu nehmen. Es war ziemlich schwer.
»Sei bitte vorsich-«, wollte Laura die Freundin noch warnen, aber da passierte es schon: Das Bild rutschte Kaja aus den Händen und stürzte dem Boden entgegen.
»Pass doch auf!«, schrie Lukas. Seine Hände schossen nach vorne und packten zu - eine blitzschnelle Reaktion, mit der er im letzten Augenblick verhinderte, dass das Gemälde auf dem harten Fliesenboden aufschlug, wodurch es sicherlich Schaden genommen hätte.
»Uups!«, sagte Kaja und machte ein schuldbewusstes Gesicht. »Sorry.«
Laura antwortete nicht und starrte entgeistert auf das Bild.
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