Laura Leander 01 - Laura und das Geheimniss von Aventerra
Schnarchen klang durch den unterirdischen Kerker und übertönte das Trippeln flinker Füße, die über den Steinfußboden huschten.
D ie Sonne ging auf am Himmel, und auf dem ältesten der alten Planeten brach der Tag der Wintersonnenwende an. Ritter Paravain stand auf dem großen Turm der Gralsburg und ließ seinen Blick über die Umgebung schweifen. Doch in welche Himmelsrichtung er auch schaute - nichts war mehr zu erkennen von den ursprünglichen Landschaften von Aventerra. Das Land war bis zum Horizont vollständig in einen dichten Schwarzen Nebel gehüllt, und nur noch die Mauern und Zinnen von Hellunyat ragten aus dem Nebelmeer hervor.
Grabesstille hatte sich über die Welt der Mythen gesenkt. Kein Laut war zu hören. Kein Wind wehte, und kein Vogel zwitscherte. Fast schien es, als habe das Ewige Nichts bereits die Herrschaft über Aventerra gewonnen.
Der junge Ritter seufzte. Das also ist das Ende, dachte er. Natürlich wusste er, dass noch ein ganzer Tag und eine ganze Nacht vor ihnen lagen und es in der verbleibenden Zeit immer noch möglich war, das drohende Schicksal abzuwenden. Aber seit sein Schatten zu ihm zurückgekehrt war und ihm von seinem Ausflug auf den Menschenstern berichtet hatte, wusste er, dass es so gut wie keine Aussicht auf Rettung mehr gab. Wozu sich in Hoffnung wiegen, wenn nicht der geringste Anlass mehr dazu bestand?
Das Schreckliche an der gegenwärtigen Situation war, dass sie es nicht mit einem leibhaftigen Gegner zu tun hatten, dem man sich in den Weg stellen konnte, um ihn aufzuhalten. Das Nichts war unbesiegbar, denn es bezog seine Stärke einzig und alleine aus den zunehmend schwindenden Kräften von Elysion. In dem gleichen Maße, in dem der Hüter des Lichts an Lebensenergie verlor, nahm das Nichts an Stärke zu. Ihm, Paravain, und seinen Weißen Rittern waren die Hände gebunden. Sie waren zur Untätigkeit verdammt und konnten nur noch darauf warten, bis sie vom Ewigen Nichts verschluckt wurden.
Plötzlich hörte der Ritter ein Rauschen in der Luft. Er drehte den Kopf und sah Pfeilschwinge, den Adler, der sich im grauenden Licht des Morgens näherte. Der Bote des Lichts und Wächter der magischen Pforte segelte mit ausgebreiteten Schwingen heran und setzte vor Paravain auf der Mauerkrone auf. Dann stieß er einen klagenden Laut aus und blickte Paravain aus den scharfen Augen eindringlich an.
Der junge Ritter verstand die Botschaft sofort, die der Adler ihm überbringen wollte: Es war an der Zeit, dass er mit den anderen Weißen Rittern die Reise in das Tal der Zeiten jenseits der Donnerberge antrat. Denn dort, in Pfeilschwinges Heimat, nahm die magische Pforte, die Aventerra mit dem Menschenstern verband, seit dem ersten Sonnenstrahl Gestalt an. So wie an jedem der vier Sonnenfeste seit Anbeginn der Zeiten. Bei Einbruch der Nacht würde sie sich öffnen und es so ermöglichen, den Kelch der Erleuchtung nach Aventerra zurückzubringen. Obwohl der Schwarze Nebel sich inzwischen überall auf Aventerra ausgebreitet hatte, waren die Gralsburg und das Tal der Zeiten bislang noch von ihm verschont geblieben, weil die Macht des Lichts an diesen Orten noch ungebrochen war. Aber auch damit würde es vorbei sein, sobald die Sonne am nächsten Tag am Himmel aufzog. Und obwohl Paravain keine Hoffnung mehr besaß, würde er dem Ruf der Pforte Folge leisten und mit seinen Weißen Rittern dort auf den Kelchträger warten, bis sie sich wieder schließen würde - und das für immer. Denn er war sicher, dass niemand kommen würde, um ihm den Kelch der Erleuchtung zu überbringen.
Der Ritter spürte die eisige Kälte, die ihm aus dem Nebel entgegenschlug. Bald würde sie sich über den gesamten Planeten und das ganze Universum legen und alles Leben erstarren lassen.
Plötzlich hörte er Schritte auf der Treppe im Inneren des Turms. Paravain erkannte sofort, wer seine Gesellschaft suchte: Es war Morwena, die Heilerin.
Die junge Frau trat aus der Tür in das frühe Licht des Morgens. Sie blieb stehen und blinzelte der Sonne entgegen, die soeben im Osten aufging.
Der Ritter musterte sie stumm. Sie ist schön, dachte er. Wunderschön - und dabei so stark. Viel stärker als ich.
Und wirklich: Nicht ein einziges Mal hatte die junge Frau in den letzten Tagen über ihr unausweichliches Schicksal geklagt. Paravain hatte beinahe den Eindruck gewonnen, als berühre es sie nicht im Geringsten, dass ihrer aller Ende unmittelbar bevorstand.
Morwena legte eine Hand an die Stirn und schützte
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