Laura Leander 01 - Laura und das Geheimniss von Aventerra
und ihn wahrscheinlich kampfunfähig machen.
Zumindest vorübergehend außer Gefecht setzen.
Hoffentlich!
Laura schloss die Augen und konzentrierte sich. Sie wusste, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb.
Reimar von Ravenstein hatte sich bereits ihr zugewandt. »Sag mir endlich, wo ihr den Kelch versteckt habt. Oder deine Freundin wird sterben!«, brüllte er. Seine Stimme klang für Laura wie die eines Höllenmonsters. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, griff er ans Streckrad und drehte es noch ein Stückchen weiter.
Kaja schrie durchdringend, doch Laura versuchte das ebenso zu ignorieren wie den Ritter, der sie wutschnaubend aufforderte, ihr endlich das Versteck des Kelches zu verraten. Laura nahm seine entsetzlichen Drohungen kaum wahr, alle ihre Gedanken und ihre gesamte Energie waren auf das Seil und den Knoten gerichtet, mit dem es am Haken befestigt war.
Löse dich, dachte sie, löse dich, und falle herab!
Nur noch diesen Knoten hatte Laura im Sinn. Sie hörte nicht, dass Kajas Schmerzensschreie in ein erbärmliches Wimmern übergingen und der Grausame Ritter zunehmend in Wut geriet und noch einmal am Streckrad drehte. Kajas Körper schwebte, zum Zerreißen gespannt, über der Bank und war von einem unkontrollierbaren Zittern befallen. Und schon wieder griff der Ritter an das Rad.
Nichts davon drang in Lauras Bewusstsein. Ihr gesamtes Denken war eins mit dem Knoten. Löse dich , befahl sie ihm, löse dich, und befreie dich von deiner Last!
Schon sah es so aus, als sollte Lauras Bemühen erfolglos bleiben, als sich der Knoten doch noch löste. Er ruckte einige Male, dann ging er auf, und im nächsten Augenblick sauste der Leuchter mit ungeheurer Wucht in die Tiefe. Mit einem lauten Sirren sauste das Seil über die Deckenrolle. Der Grausame Ritter sah erschrocken auf. Als er den auf ihn zustürzenden Leuchter erblickte, wollte er zur Seite ausweichen, aber es war zu spät. Beim nächsten Wimpernschlag traf ihn die zentnerschwere Last am Kopf. Wie vom Blitz gefällt, ging der steinerne Reimar zu Boden, und der Leuchter begrub ihn mit Getöse unter sich.
Kaja schrie wie von Sinnen. In ihrem Schmerz und ihrer grenzenlosen Angst hatte sie nicht wahrgenommen, was um sie herum vorging.
»Ruhig, Kaja, ruhig!« Laura versuchte Zuversicht in ihre Stimme zu legen. »Beruhige dich, es wird alles gut.«
Damit versetzte sie ihren Körper in schaukelnde Bewegungen. Mehr und mehr schwang sie hin und her, bis sie endlich mit den Händen nach dem Seil greifen konnte, an dem sie festgebunden war. Geschickt zog sie sich daran hoch, und nach wenigen Augenblicken hatte sie den Knoten an ihren Beinen gelöst. Ihre Freundin aus der schrecklichen Marter der Streckbank zu befreien war dann nur noch ein Kinderspiel.
Kaja fiel ihr überglücklich um den Hals. »Danke, Laura«, stammelte sie. »Du hast mir das Leben gerettet.«
Laura schlug die Augen nieder. Trotz der geglückten Rettungsaktion hatte sie ein schlechtes Gewissen. »Das war das Mindeste, was ich für dich tun konnte«, sagte sie und umarmte Kaja ganz fest. »Schließlich hab ich dich erst in Lebensgefahr gebracht! Wenn ich dich nicht in die Sache reingezogen hätte, wär dir das alles erspart geblieben!«
Kaja löste sich aus den Armen der Freundin. »Ach, Unsinn!«, widersprach sie. Ihr tränenfeuchtes Gesicht zeigte bereits wieder eine Spur von Trotz, als sie sich daranmachte, ihre geschundenen Handgelenke und die aufgeschürften Knöchel zu massieren. »Dazu sind Freunde doch da, Laura - dass man sich an sie wenden kann, wenn man Hilfe braucht! Außerdem -«
Sie brach ab, weil hinter ihr plötzlich ein unterdrücktes Stöhnen zu hören war. Die Mädchen fuhren herum und starrten erschrocken auf den Leuchter, der den Grausamen Ritter fast vollständig bedeckte. Nur die Füße und die rechte Hand ragten noch darunter hervor. Der eiserne Ring mit den geschmiedeten Kerzenhaltern war verbogen und verbeult. Die meisten Kerzen waren aus den Haltern gefallen und beim Sturz entzweigebrochen. Auf dem Boden oder auf der Steingestalt des Ritters verstreut, brannten einige immer noch. Kleine Rinnsale aus heißem Wachs flossen über Reimars Granitkörper, der kaum beschädigt worden war. Soweit die Mädchen erkennen konnten, waren nur der Ring- und der Zeigefinger von der rechten Hand abgetrennt und lagen einige Zentimeter von ihr entfernt.
Wieder drang ein leises Stöhnen unter dem Leuchter hervor. Offensichtlich stand Reimar von Ravenstein kurz davor, sein
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