Laura Leander 01 - Laura und das Geheimniss von Aventerra
Bewusstsein wiederzuerlangen. Da ging ein Zucken durch die beiden abgebrochenen Finger des Ritters. Sie krampften sich zusammen und krochen, wie von einer geheimnisvollen Kraft angezogen, langsam auf die Hand zu.
Wie gelähmt beobachtete Kaja die kriechenden Finger.
Auch Laura war reglos vor Schreck. Ein kalter Schauer lief über ihren Rücken, und auf dem Kopf spürte sie ein Kribbeln wie in einem Ameisennest, während sie gebannt zusah, wie der Ring- und der Zeigefinger des Ritters sich wieder mit der Hand vereinten. Reimar ballte die Rechte wie zur Probe zur Faust. Die Finger gehorchten ihm, als seien sie niemals abgetrennt gewesen. Der Ritter ließ ein zufriedenes Stöhnen hören und richtete sich auf.
Da erlangte Laura ihre Geistesgegenwart wieder. Weg!, durchfuhr es sie. Nur schnell weg! »Komm schon!« Sie stieß die immer noch wie versteinert neben ihr stehende Kaja an und zog sie mit sich fort.
Zum Glück hatte Reimar von Ravenstein die eiserne Tür zur Folterkammer offen gelassen, als er die beiden Mädchen dorthin geschleppt hatte, und so fanden Laura und Kaja mühelos aus dem Schreckenskabinett.
Die Freundinnen gelangten in einen langen gewölbeartigen Gang. Er war eng und nur spärlich von Fackeln beleuchtet, die in größeren Abständen in schmiedeeisernen Wandhaltern steckten. Während Laura mit Kaja an der Hand dahinhetzte, bemerkte sie im flackernden Zwielicht, dass an den Mauern eine Unmenge alter Waffen aufgereiht waren: blanke Schwerter, eiserne Lanzen und blitzende Hellebarden. Selbst Morgensterne mit mörderischen Eisendornen fehlten nicht. Es sah ganz so aus, als habe der Bereich der Burg, in dem sie sich gerade befanden, früher als Arsenal gedient.
»Hast du eine Ahnung, wie wir hier rauskommen?«, keuchte Kaja. Sie war ziemlich außer Atem, und zu ihrem Schrecken musste Laura feststellen, dass ihre Freundin bereits langsamer wurde.
»Nein, nicht die geringste«, gab sie zurück. »Aber wenn wir immer weiterlaufen, müssen wir doch irgendwann einen Ausgang finden!«
Endlich waren sie am Ende des Ganges angelangt, der nun einen fast rechtwinkligen Knick nach rechts machte. Als sie um die Ecke bogen, bot sich ihnen ein seltsam bekannter Anblick: Der Gang, der sich vor ihnen erstreckte, sah exakt so aus wie der, den sie eben hinter sich gelassen hatten. Er war lang, eng, von Fackeln erleuchtet, und überall hingen Waffen an den Wänden. Bis zur nächsten Ecke, die vielleicht vierzig Meter entfernt sein mochte, war nicht die Spur eines Ausgangs zu entdecken.
Eigenartig, durchfuhr es Laura plötzlich. Sieht ja fast so aus, als stünden wir wieder am Anfang des Ganges und wären nicht einen Meter vorangekommen.
So schnell wie möglich verscheuchte sie diesen beunruhigenden Gedanken und zog Kaja weiter mit sich fort.
Kajas Kräfte schienen mehr und mehr nachzulassen. Sie wurde immer langsamer, und Laura wurde klar, dass sie nicht mehr lange durchhalten würde. Wenn sie nicht bald einen Ausgang fanden, würde der Grausame Ritter sie doch noch erwischen.
»Halte durch, Kaja!«, feuerte Laura die schwer atmende Freundin an und zog sie unter Aufbietung aller Kräfte weiter.
Endlich hatten sie das Ende des Ganges erreicht. Doch als sie um die Ecke bogen, war alles wieder genauso wie zuvor: Vor ihnen lag exakt der gleiche Gang, den sie nun schon zweimal durcheilt hatten.
Kaja blieb stehen. Völlig ausgepumpt beugte sie sich vornüber und stützte die Arme auf die Oberschenkel. »Das gibt 's doch nicht. Irgendwo muss doch ein Ausgang sein!«
Auch Laura atmete hörbar schneller. Mit einem nachdenklichen Kopfschütteln schaute sie die Freundin an. »Ich versteh das auch nicht. Schließlich sind wir doch irgendwie in die Folterkammer gekommen! Und wo ein Weg hineinführt, muss es auch einen Weg heraus geben, oder?«
»Logisch wär das schon«, antwortete Kaja. Aber dann legten sich Zweifel auf ihr Gesicht. »Es würde mich trotzdem nicht wundern, wenn der Gang kein Ende nähme. Schließlich haben wir in der letzten Zeit doch schon so viel erlebt, was alles andere als logisch war, oder?«
Laura sah die Freundin verwundert an. Dann nickte sie. Kaja hatte Recht - natürlich. Wenn es tatsächlich so war, dass seit Anbeginn der Zeiten eine Parallelwelt zur Erde existierte - und daran gab es keinen Zweifel mehr -, dann bedeutete das auch, dass die Welt in Wahrheit ganz anderen Gesetzen gehorchte, als sie bislang vermutet hatten. Die Welt hinter den Dingen war mit der menschlichen Logik einfach
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