Laura Leander 02 - Laura und das Siegel der Sieben Monde
Zeit über keine Miene verzogen. Mit reglosem Gesicht, aus dem selbst der Wein die Leichenblässe nicht hatte vertreiben können, starrte sie das Mädchen mit der Rätselhaftigkeit einer Sphinx an. Laura versuchte auch ihre Gedanken zu lesen, stieß dabei aber nicht nur ins Leere, sondern verspürte eine so große Feindseligkeit, dass sie ein regelrechter Schmerz durchfuhr – und da wusste sie, dass diese Frau eine fast übermächtige Gegnerin war.
A ber wer war S yrin überhaupt?
In tiefes Nachdenken versunken, ging Laura zu ihrem Platz zurück. Der Wein hatte ihrem dicken Tischnachbarn inzwischen so sehr zugesetzt, dass er den Kopf auf die Tafel gelegt hatte und laut vor sich hinschnarchte. Als Laura sich setzte, schreckte er kurz hoch, lallte ein kaum verständliches »Dasss hasssu ssehrut emacht, mein Junge, ssehrut!«, um augenblicklich wieder vornüberzukippen.
Laura musste grinsen und verspürte mit einem Male großen Hunger. Sie wollte sich eben den Teller füllen, da ließ Reimar von Ravenstein sie zu sich rufen und gebot ihr, neben ihm Platz zu nehmen. Ein Knecht schaffte eilends einen Stuhl herbei, und Laura musste sich zwischen Reimar und seinem geheimnisvollen Gast niederlassen.
Entgegen seiner sonstigen Art tat der Grausame Ritter recht freundlich. Er erkundigte sich nach ihrer Herkunft und wollte wissen, wie es ihr bei Percy de Bourgogne gefalle und dergleichen mehr. Allerdings durchschaute Laura alsbald, dass die vermeintlich harmlose Plauderei nur einem Zweck diente: Sie sollte Syrin die Gelegenheit verschaffen, ihre Gedanken zu lesen. Laura versuchte nichts zu denken, was es natürlich nicht gerade einfach machte, die Fragen des Ritters zu beantworten. Sie geriet denn auch heftig ins Schwitzen und war dabei, sich zunehmend in Widersprüche zu verstricken, als eine glückliche Fügung ihr aus der Patsche half.
K apitel 16 Der
alte Foliant
in Lakai führte einen jungen Burschen in den Saal. Dieser trug einen grünen Filzhut, an den ein paar Vogelfedern gesteckt waren. Der Diener verbeugte sich vor seinem Herrn. »Verzeiht die Störung, aber der Förster möchte Euch unbedingt sprechen. Er sagt, es sei ungemein wichtig für Euch, und ließ sich nicht abweisen!«
»Schon gut!« Der Grausame Ritter scheuchte den Knecht davon und winkte den Burschen zu sich heran.
Der zog unterwürfig den Hut. Obwohl Laura ihn noch nie gesehen hatte, war ihr sofort klar, dass der hübsche Kerl mit den blauen Augen und dem strohblonden Haar niemand anderer als der unglückliche Förster Hans sein konnte, der Liebste der armen Silva. Was konnte er von dem Grausamen Ritter nur wollen?
»Nun, Hans, was hat er mir zu berichten?«, fragte der Lehnsherr.
»Dass es endlich so weit ist, wollte ich melden.« Der Förster verbeugte sich tief und knetete nervös den Rand seines Hutes. »Und dass wir die Bestie bald in der Falle haben werden.«
Reimar hob die linke Augenbraue. »Hat er das nicht schon ein paarmal versprochen und ist dann trotzdem wieder mit leeren Händen gekommen?«
»Ge… ge… gewiss, Herr«, stotterte der Försterbursche und schlug beschämt die Augen nieder. »A… a… aber jetzt habe ich das Untier durchschaut. Den Wolf treibt es jede Nacht zu meinem Haus. Offensichtlich hat er es auf mich abgesehen.«
»Ei, ei, ei, ei.« Mit unverhohlenem Spott schüttelte der Grausame Ritter den Kopf. »Was er nicht sagt!«
»Dabei benutzt er immer den gleichen Pfad, und das wird der Bestie zum Verhängnis werden. Meine Knechte und ich haben dort eine tiefe Grube ausgehoben und sie sorgfältig abgedeckt, sodass der Wolf sie nicht sehen kann. Wenn er sich heute Nacht meinem Haus nähert, wird er ahnungslos hineinstürzen und wir werden ihm den Garaus machen!«
Ein breites Grinsen legte sich auf Reimars hässliches Gesicht. »Sehr gut, Hans! Das hat er sich sehr gut ausgedacht! Wollen wir hoffen, dass es auch klappt!«
»Das wird es, Herr. Ganz bestimmt! Und… äh…« Er stockte und sah seinen Lehnsherrn unsicher an. »Und es bleibt bei der versprochenen Belohnung? Ich bekomme nicht nur zwanzig Silberstücke, sondern Ihr lasst meine Silva frei, wenn ich das Raubtier töte?«
Laura stockte fast der Atem. Der arme Hans – er ahnte wohl nicht das Geringste von dem perfiden Spiel, das der Grausame Ritter mit ihm und der armen Silva trieb! Er wusste nicht, dass die Bestie in Wahrheit seine wunderschöne Geliebte war. Reimar hatte sie eingekerkert und mit einem bösen Fluch belegt, weil sie ihn verschmäht
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