Laura Leander 02 - Laura und das Siegel der Sieben Monde
dahinter zum Vorschein kam. »Hier, Percy, hier ist er.«
Der Stein befand sich in mehr als zwei Metern Höhe. Das eingemeißelte Relief in seiner Mitte war deutlich zu erkennen: Zwei Ritter auf einem Pferd, die von einem Kreis aus lateinischen Wörtern umschlossen waren: »SIGILLUM MILITUM XRISTI« – »Siegel der Soldaten Christi«.
Das Siegel der Tempelritter.
Im Gegensatz zu Laura benötigte Percy keinen Stuhl, um mit der Hand den Stein zu erreichen. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, reckte sich und drückte mit dem Daumen auf das Siegel. Dann lief alles genauso ab wie in jener Nacht, als Laura und ihre Freunde den geheimen Eingang zu Reimars Schatzkammer entdeckt und die Gralskopie daraus geborgen hatten, die ihnen beinahe zum Verhängnis geworden wäre. Ein Rumpeln war hinter der Wand zu hören, das wie eine heranrollende Kugel klang. Schließlich glitt die Mauer nach hinten, in der Wand öffnete sich ein schmaler Durchlass, und der schlauchartige Zugang zur Schatzkammer gähnte ihnen entgegen. Er schien geradewegs in ein schwarzes Nichts zu führen.
Percy legte die Stirn in Falten. »Iisch denke, wir können es wagen, eine Fackel mitzune’men. Es wird uns o’ne’in niemand darin vermuten.« Rasch schritt er auf eine der zahlreichen Fackeln in den eisernen Wandleuchtern zu und nahm sie aus der Halterung. Zurück bei Laura, die immer noch den Teppich zur Seite hielt, griff er in die Hosentasche – und erbleichte. » P arbleu!«, fluchte er.
Laura sah ihn verwundert an. »Was ist denn los?«
»Iisch Idiot!«, schimpfte Percy. »Iisch ‘abe in der Eile vergessen, Feuerstein und Zunder mitzune’men. Dabei ‘atte isch mir beides eigens besorgt aus dem Mittelalter-Laden!«
Laura war einen Augenblick ratlos, doch dann huschte ein Lächeln über ihr Gesicht.
Percy fand das gar nicht lustig. »Iisch weiß gar niiischt, was es da zu lachen gibt?«, ereiferte er sich. »O’ne Liisscht werden wir das Siegel niischt finden.«
Das Mädchen schmunzelte immer noch. Dann wurde es wieder ernst. »Halt bitte still«, bat es und starrte mit höchster Konzentration auf die Pechfackel. Es dauerte nur Sekunden, da begann sie zu glimmen, mehr und mehr, bis eine helle Flamme emporloderte.
» E xcellent, Laura!«, lobte der Lehrer. »Du wirst immer besser!«
Damit verschwanden die Wächter im Gang. Der Wandbehang fiel zurück und verdeckte die Geheimtür wieder. Nichts deutete mehr darauf hin, dass der Lemur den Eingang zu einer versteckten Kammer hütete, in der sich Eindringlinge zu schaffen machten.
Es war allerdings nicht einmal eine Minute verstrichen, als ein unheimlicher Laut die Stille störte. Das heisere Fauchen schien vom Gobelin zu kommen. Doch darauf war nichts weiter zu sehen als der Lemur. Gewiss: Er sah grässlich aus, war aber nichts weiter als ein harmloses Motiv auf einem Teppich. Wie um alles in der Welt sollte das Töne von sich geben können?
»V ielen Dank, Aeolon!« Alienor reichte dem Luftflößer zum Abschied die Hand. »Ohne dich hätte ich die Wunschgaukler niemals gefunden.« Damit warf sie einen scheuen Blick auf die Männer in den bunten Gewändern, die die Neuankömmlinge aufmerksam musterten.
Freundlich grinsend schwebte der Levator vor ihr einen Handbreit über dem Boden. »Nicht der Rede wert! Der Wind hat uns zusammengeführt und hierher geleitet. Musste nur mit dem Steuer nachhelfen – mal mehr, mal weniger. Hätte dich aber auch woandershin gebracht. Hierhin und dorthin, wohin du auch gewollt hättest!«
»Ich weiß!« Das Mädchen schenkte dem Wicht ein letztes Lächeln. »Aber nun leb wohl!« Damit wandte Alienor sich ab und schritt auf eine Gruppe von Kindern zu, die im Schatten eines riesigen Felsblockes auf dem Boden lagerten. Sie schauten nicht einmal auf, als sie sich in ihrer Mitte niederließ. Mit ausdruckslosen Gesichtern starrten sie vor sich hin. Die bunten Bänder, mit denen sie aneinander gefesselt waren, schienen sie längst nicht mehr wahrzunehmen.
Aeolon schwebte rasch auf die Männer mit den roten Turbanen zu und verneigte sich vor dem Anführer mit der Augenklappe. »Nun, Gramar, ist das nicht ein prächtiges Mädchen? Nicht zu groß und nicht zu klein, nicht zu schwer und nicht zu leicht. Was sagst du?«
Der Mann bedachte Alienor mit einem abschätzenden Blick. »Und es ist ihr fester Wunsch, sich uns anzuschließen?«
Der Levator zog die Brauen hoch. »Sagt sie heute, sagt sie vielleicht auch morgen. Doch was sie übermorgen sagt, woher soll
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