Laura Leander 02 - Laura und das Siegel der Sieben Monde
konnten wir zunächst überhaupt nichts entdecken. Im ganzen Büro nicht. Und im Sekretariat auch nicht. Obwohl wir alles gründlich durchwühlt hatten.«
Verwundert runzelte Bellheim die Stirn. »Aber wie?«
Antons Backpfeifengesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. »Ganz einfach, Chef. Wir wollten schon aufgeben, als mir plötzlich auffiel, dass die Größe der Schubladen nicht mit den Außenmaßen des Schreibtisches übereinstimmt. Sie sind viel kürzer. Ich hab sie rausgenommen – und so das Geheimfach entdeckt, das in der Rückwand versteckt war.«
»Bravo, Anton!« Gönnerhaft klopfte der Kommissar dem jungen Mann auf die Schulter. »Gute Arbeit! War sonst noch was drin in dem Versteck?«
Der Assistent schüttelte den Kopf. »Nein, nur das Buch!«
»Bring es ins Labor, und lass es auf Fingerabdrücke und Blutspuren untersuchen.«
Während Anton davoneilte, wandte sein Chef sich an Laura und Percy. Seine Miene drückte tiefste Zufriedenheit aus. »Verstehen Sie jetzt, warum der Herr Direktor verschwunden ist? Er ist doch ein intelligenter Mann, und deshalb muss ihm längst klar geworden sein, dass ihm alles Leugnen nicht mehr helfen wird, sobald wir den Fingerabdruck identifiziert und den Folianten entdeckt haben. Also hat er beschlossen, sich der drohenden Verhaftung durch Flucht zu entziehen. Aber das wird ihm nichts nutzen. Über kurz oder lang werden wir ihn schon schnappen – da bin ich ganz sicher!«
Laura war blass geworden und starrte den bärbeißigen Kommissar ungläubig an.
Bellheim bedachte sie mit einem missbilligenden Blick. »Ich finde nicht, dass der Kerl dein Mitleid verdient. Mord ist schließlich kein Kavaliersdelikt, und dafür muss er zur Rechenschaft gezogen werden.«
Laura ging gar nicht auf den Einwand ein. Sie machte einen Schritt auf den Kriminalbeamten zu und schaute ihn eindringlich an. »Finden Sie den Professor«, flehte sie. »Finden Sie ihn so schnell wie möglich – bitte!«
Percy warf ihr einen verwunderten Blick zu. Bist du verrückt geworden?, stand als unausgesprochene Frage in sein Gesicht geschrieben.
Nein – Laura war alles andere als verrückt geworden. Ganz im Gegenteil: Ihr Verstand arbeitete schärfer als jemals zuvor. Und deshalb wusste sie, dass ihr Vater sterben musste, wenn Aurelius Morgenstern nicht bald wieder auftauchte.
Nach einer Woche war der Anführer der Wächter immer noch verschwunden. Selbst vierzehn Tage später hatte die Polizei nicht die geringste Spur von ihm entdeckt. Dabei war er landesweit zur Fahndung ausgeschrieben und sogar eine Belohnung auf seine Ergreifung ausgesetzt worden. Obwohl die Bevölkerung zur Mithilfe aufgerufen wurde, gab es nicht einen brauchbaren Hinweis auf seinen Aufenthaltsort.
Auf Ravenstein sank die Stimmung immer tiefer in den Keller. Schließlich erfreute sich Aurelius Morgenstern bei fast allen Internatszöglingen äußerster Beliebtheit. Dass er ein Mörder und auf der Flucht sein sollte, glaubte wohl niemand im Internat, auch wenn die Indizien noch so sehr gegen den Direktor zu sprechen schienen. Die Schülerinnen und Schüler sorgten sich zunehmend um sein Wohlbefinden.
Hinzu kam, dass Dr. Quintus Schwartz erneut die kommissarische Leitung des Internats übernommen hatte – und unverzüglich dort anknüpfte, wo er vor Weihnachten aufgehört hatte. Schon in seiner ersten Ansprache pochte er vehement auf die strikte Einhaltung der Schul- und Hausordnung. Unmissverständlich wies er daraufhin, dass jeder Verstoß nun wieder auf die »bewährte Weise« geahndet werde. Zumindest solange er für die Leitung von Ravenstein verantwortlich zeichne. Und sein überlegenes Grinsen machte jedem deutlich, dass er fest davon überzeugt war, die Geschicke des Internats diesmal für längere Zeit zu lenken.
Eine beängstigende Aussicht! Was aber noch viel beängstigender war: Das Ostarafest rückte unaufhaltsam näher, aber weder Laura noch einer der anderen Wächter wusste, wo der Kelch der Erleuchtung versteckt war. Der Einzige, der das Versteck kannte, war Professor Morgenstern.
A usgerechnet!
Damals, nach den aufregenden Ereignissen zur letzten Wintersonnenwende, hatten sich die Wächter natürlich fieberhaft Gedanken über ein sicheres Versteck für den Kelch gemacht. Das kostbare Gefäß mit dem Wasser des Lebens sei umso sicherer, je weniger Menschen den Ort der Aufbewahrung kannten, hatte Aurelius Morgenstern ihnen dargelegt. Denn zweifelsohne würden die Dunklen auch weiterhin mit allen Mitteln
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