Laura Leander - 03 Laura und das Orakel der Silbernen Sphinx
zu Wort. »Was soll an einer Vogelscheuche denn merkwürdig sein?«
Lukas verdrehte die Augen und öffnete den Mund – wohl nur, um einen sarkastischen Kommentar von sich zu geben –, als Laura ihm die Hand auf den Unterarm legte und ihm zu schweigen gebot. »Ganz einfach«, antwortete sie an seiner Stelle. »Weil es keinen Sinn macht, eine Vogelscheuche in einem Urwald aufzustellen.«
Unwillkürlich ging Laura auf das Gestell zu. Verwundert bemerkte sie, dass diese Vogelscheuche aus einer lebensgroßen Stoffpuppe bestand, die mit einem dunklen Frack bekleidet war.
Auf dem kugelrunden Kopf der Puppe saß ein Zylinder – auch der war noch so makellos, dass er fast wie neu wirkte! Das Gesicht der Puppe war mit einem schwarzen Stift aufgemalt – und wirkte reichlich gruselig: Es erinnerte an einen Totenschädel.
Oder eine Voodoo-Maske.
Oder beides.
»Uuaahhh!« Kaja schauderte es. »Da kann man ja richtig Angst kriegen.«
»Genau das ist doch der Zweck einer Vogelscheuche«, bemerkte Lukas naseweis. »Damit gefräßige Vögel davon abgeschreckt werden, sich über das frische Saatgut herzumachen!«
»Was du nicht sagst, du Super-Kiu!« Laura gab sich nicht die geringste Mühe, ihre ätzende Ironie zu verbergen. »Was allerdings nur Sinn macht, wenn es tatsächlich Sämereien zu schützen gibt. Warum aber sollte hier jemand etwas aussäen?«
»Stimmt!«, pflichtete Kaja der Freundin bei, trat neben sie und blickte den Jungen triumphierend an. »Wo sie Recht hat, hat sie Recht!«
Lukas zog eine verdrießliche Miene und kratzte sich am Kopf.
»Also gut«, sagte Laura. »Was wir wissen wollten, haben wir erfahren, und deshalb sollten wir schnellstens zurückgehen. Wir haben schließlich noch was vor – nicht wahr, Lukas?«
Lukas ärgerte sich wohl über ihren auffordernden Blick. »Ich weiß«, motzte er. »Meinetwegen hätten wir gar nicht erst hierher gemusst!«
Laura ging auf den versteckten Vorwurf nicht ein. Sie warf der Vogelscheuche einen letzten Blick zu – und hatte plötzlich den Eindruck, als würde diese ihn erwidern.
Aber – das war doch nicht möglich!
Wahrscheinlich nichts weiter als eine Täuschung, versuchte Laura sich zu beruhigen, machte dann kehrt und lief über den schmalen Waldweg davon.
Die Freunde folgten ihr auf dem Fuß – und so bekam keiner von ihnen mit, dass der Frackträger mit einem Mal den rechten Arm bewegte und die Augen mit der Hand beschattete, als wolle er sie vor der Sonne schützen. Die Vogelscheuche sah den Freunden nach, bis sie zwischen den Bäumen verschwunden waren. Dann, mit einer ruckartigen Bewegung, die den Zylinder ins Wanken brachte, drehte sie sich um und nahm den Eingang der Gruft ins Visier, der ihr bedrohlich entgegengähnte. Mit stocksteifem Rücken verneigte sich die Puppe ungelenk, als stehe dort im Dunkel des Ganges jemand, dem sie ihre Ehrerbietung erweisen müsse. Und tatsächlich – in der schwarzen Höhle des Eingangs schimmerten Augen auf. Zwei Reptilienaugen, die schwefelgelb leuchteten.
D as Orakel der Silbernen Sphinx? Gedankenverloren wanderte Alarik durch den großen Innenhof von Hellunyat. Was um alles in der Welt ist nur das Orakel der Silbernen Sphinx? Seit er neulich an der Tür zum Thronsaal die Unterhaltung von Elysion, Paravain und Morwena belauscht hatte, gingen ihm die Worte des Hüters des Lichts nicht mehr aus dem Sinn.
Eigentlich war es ihm ja zuwider, heimlich zu lauschen. Das gehörte sich einfach nicht. Es war denn auch keineswegs Neugier gewesen, die ihn dazu bewogen hatte, diesem ehernen Grundsatz zuwider zu handeln, sondern vielmehr die Sorge um Laura. Schwebte sie tatsächlich in so großer Gefahr, wie Morwena den Wissenden Dämpfen zu entnehmen glaubte?
Das, was er aufgeschnappt hatte, war keineswegs beruhigend. Im Gegenteil: Was hatte es mit diesem geheimnisvollen Orakel nur auf sich, das Elysion erwähnt hatte? Warum hatte er noch nie von dieser Silbernen Sphinx gehört? Und was war so schwierig an ihrer Orakelfrage, dass niemand sie zu lösen wusste und alle, die sich daran versuchten, den Tod fanden?
Würde auch Laura daran scheitern?
Der Gedanke versetzte Alarik einen Stich ins Herz. Schließlich hatte er dem Mädchen unendlich viel zu verdanken. Ohne Laura wäre sein unbedachter Ausflug auf den Menschenstern wahrscheinlich weit weniger glimpflich verlaufen. Das Leben dort verlief doch in ganz anderen Bahnen als auf Aventerra, und so war er sich vorgekommen wie in einer feindlichen Welt. Sicher –
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