Laura Leander - 03 Laura und das Orakel der Silbernen Sphinx
verständnisvolles Leuchten erhellte Alariks Miene. »Aus diesem Grunde also werden die Botschaften verschleiert?«
»Genau so ist es! Und zwar auf eine Weise, dass nur der richtige Empfänger sie auch richtig verstehen kann – was jedoch ein weiteres Problem mit sich bringt.«
Alarik ahnte, worauf Morwena anspielte, traute sich aber nicht, es auszusprechen.
»Nicht immer gelingt es den Menschen, ihre Träume richtig zu deuten. Sie verstehen sie falsch oder beachten sie nicht, und dann war alle Mühe vergebens.«
»Aber es kann auch gelingen?«
»Ja.« Morwena legte das Messer zur Seite und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn, um ein paar Schweißperlen abzuwischen. »Hin und wieder geschieht es durchaus, dass die Erleuchtlinge denjenigen erreichen, für den ihre Botschaft bestimmt ist, und dieser sie auch richtig deutet. Aber das ist sehr, sehr selten.«
»Und warum –?«, hob Alarik an, um umgehend wieder abzubrechen. Sollte er Morwena anvertrauen, welcher Gedanke ihn bewegte? Warum eigentlich nicht? Allerdings würde er dadurch verraten, dass er ihr Gespräch mit Elysion und Paravain belauscht hatte.
Die Heilerin kam ihm zuvor. »Du willst Laura eine Botschaft schicken, habe ich Recht?«
»Äh… Na… Natürlich«, stotterte der Junge. »Haltet Ihr es nicht auch für angebracht, sie zu warnen?«
»Und wovor, wenn ich fragen darf?« Morweaa blickte ihn mit ernster Miene an. »Dass sie Vorsicht walten und vor den Dunklen auf der Hut sein muss, das weiß sie doch längst!«
»Ja, schon. Aber diese Prüfung, von der die Wissenden Dämpfe gesprochen haben – «
»Niemand weiß, wie die aussehen wird«, fiel die Heilerin ihm ins Wort. »Wovor also sollen wir sie warnen?«
»Und was ist mit dem Orakel der Silbernen Sphinx?«
»Du hast uns belauscht!«
Alarik senkte den Kopf. Blut schoss ihm in die Wangen.
»Das ist kein Grund, sich zu schämen.« Mitfühlend legte Morwena ihm die Hand auf die Schulter. »Das zeigt nur, dass du um sie besorgt bist.«
Ein erleichtertes Lächeln erhellte Alariks Gesicht.
»Was die Silberne Sphinx betrifft: Elysion hat lediglich seinen innigsten Wunsch ausgesprochen, dass sie Laura erspart bleiben möge. Es ist ja noch längst nicht ausgemacht, dass Laura vor dem Orakel bestehen muss. Allerdings…«
Alarik bemerkte die Beunruhigung in Morwenas Stimme, und das Herz wurde ihm bang. »Ja?«, fragte er bekümmert.
»Niemand kennt die Orakelfrage, weil noch keiner die Begegnung mit der Silbernen Sphinx überlebt hat. Wie sollten wir Laura da helfen können?«
»D u spinnst, Laura!« Lukas wandte sich vom Busfenster ab und blickte die Schwester kopfschüttelnd an. »Da ist niemand – und schon gar kein Konrad Köpfer!«
»Bist du blind?«, giftete Laura und schaute wieder zum Eingang hinüber – aber da war in der Tat niemand zu sehen! Sollte sie sich wirklich getäuscht haben? Oder hatte der Feuerkopf sich nur ins Innere des Gebäudes verzogen? Für einen Moment erwog sie, auszusteigen und nach ihm zu suchen. Aber das würde wohl aussichtslos sein. Zudem setzte sich der Bus bereits wieder in Bewegung, sodass Laura sich resigniert in den Sitz zurückfallen ließ, während Lukas sich erneut seiner Lektüre zuwandte.
Gelangweilt blickte das Mädchen sich um und studierte die Gesichter der anderen Fahrgäste. Die meisten trugen völlig ausdruckslose Mienen zur Schau. Nichts deutete daraufhin, was in ihren Köpfen vor sich ging.
Laura musste grinsen. Wenn die wüssten, dass ich Gedanken lesen kann!, dachte sie. Und das brachte sie auf eine Idee: Wenn ihre Übungsstunde mit Miss Mary Morgain schon ausfallen musste – gab es eigentlich eine bessere Gelegenheit, ihre fantastische Fähigkeit zu trainieren, als hier im Bus?
Sie nahm die junge Frau ins Visier, die ihr schräg gegenübersaß und laut schmatzend ein Kaugummi kaute. Sie war vielleicht achtzehn oder neunzehn Jahre alt und wirkte ziemlich abgemagert, fast schon knochig. Stumpfes, schlecht frisiertes Haar rahmte ihr pickeliges Gesicht. Ein bisschen Körperpflege würde ihr bestimmt nicht schaden, dachte Laura, bevor sie sich konzentrierte und in die Gedanken von Pickel-Face einzudringen versuchte. Auch wenn sie keinen direkten Augenkontakt herstellen konnte, war das gar nicht so schwer. Laura las die geheimen Gedanken der Kaugummi-Kauerin wie in einem aufgeschlagenen Buch: Er hat mich schon wieder nicht angeguckt. Aber kein Wunder, dass er keine Augen für mich hat. Wenn ich erst mal meinen neuen
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