Laura Leander - 03 Laura und das Orakel der Silbernen Sphinx
geköpft, das seit dieser Zeit »Henkerswald« genannt wurde.
Gespannt beobachtete Laura, wie der Bruder die Verschnürung löste. »Du bist also immer noch überzeugt, dass uns diese Schriften wirklich weiterhelfen?«
»Aber natürlich!« Wie ein ehrwürdiger Professor linste Lukas über den oberen Rand seiner Hornbrille. »Ein Blick genügt, um festzustellen, ob dieser Köpfer sich im Reich der Toten befindet oder wieder in unsere Welt zurückgekehrt ist.«
»Und wie, wenn ich fragen darf?«
»Sei doch nicht so ungeduldig!«, mahnte Lukas und begann hastig durch die Dokumente zu blättern. Nur Sekunden später hatte er gefunden, wonach er suchte. Er zog einen Bogen hervor und hielt ihn Laura vor die Nase. »Hier, bitte«, sagte er. »Wie du sehen kannst, befindet sich der Feuerkopf wieder unter den Lebenden.«
Laura nahm ihm das Pergament aus der Hand und musterte es eingehend. Eine Zeichnung war darauf zu sehen, die offensichtlich ein Porträt des Henkers von Ravenstein darstellen sollte. Die Unterzeile lautete nämlich »Der Rote Tod« – genau wie der Spitzname des damaligen Scharfrichters. Im Bildhintergrund war die mittelalterliche Burg Ravenstein zu erkennen, vor der sich ein Galgen und ein Richtblock mitsamt Schlinge und Henkersbeil erhoben. Nur vom Henker selbst war keine Spur zu entdecken. In der Bildmitte, wo sich das Abbild des Mannes hätte befinden müssen, prangte nur ein großer leerer Fleck. Laura ließ das Blatt sinken und blickte den Bruder verwundert an. »Ja, und? Was soll das beweisen?«
»Verstehst du denn nicht?« Lukas klang, als habe er eine Schwachsinnige vor sich. »Damals, in der Nacht vor dem Ostarafest, als wir zum ersten Mal in der Chronik geblättert haben, hat der Henker doch auch auf allen Zeichnungen gefehlt – stimmt’s?«
»Stimmt.«
»Zu dem Zeitpunkt aber hat sich Konrad Köpfer noch leibhaftig in unserer Welt aufgehalten – erinnerst du dich?«
»Natürlich!« Laura zog die Augenbrauen hoch. »Schließlich hat er mir mehr als genug Ärger bereitet! – Und weiter?«
»In der Nacht darauf haben wir eine Kopie dieser Chronik in Hinterthur entdeckt, in der Wohnung von Konrad Köpfer, und darin war der Scharfrichter überall deutlich zu erkennen. Konrad selbst hingegen war spurlos verschwunden, und die Kripo hat noch nicht einmal einen Fingerabdruck von dem Kerl finden können.«
»Ja, schon«, maulte Laura. »Aber was – «
»Einen Moment noch«, fiel Lukas ihr ins Wort. »Wir wissen, dass Konrad Köpfer identisch ist mit Kons, dem Scharfrichter des Grausamen Ritters. Er fristet sein Dasein als Untoter, weil er im Jenseits keine Ruhe findet. Mal weilt er im Reich der Toten – nämlich immer dann, wenn er in seinem Grab liegt! –, mal kehrt er in die Welt der Menschen zurück. Dann ist sein Grab natürlich leer.«
»Ja, und?« Laura hatte immer noch keine Ahnung, worauf der Bruder hinauswollte.
»All die geschilderten Fakten lassen doch nur einen Schluss zu: Immer dann, wenn der Henker in seinem Grab liegt, ist er auch in der Chronik zu sehen. Aber sobald er in der Gestalt Konrad Köpfers unter uns wandelt, verschwindet sein Abbild aus den alten Dokumenten.«
Laura senkte den Blick auf das Blatt. »Und daraus, dass er hier nicht zu sehen ist, folgerst du also, dass er sich im Augenblick nicht in seinem Grab befindet?«
»Eine beachtliche Schlussfolgerung, zumindest für einen Spar-Kiu wie dich!«
Laura kommentierte die böse Bemerkung nicht. Konnte das tatsächlich stimmen, was Lukas da behauptete? Seine Argumentation klang durchaus überzeugend. Aber gab es nicht vielleicht doch eine andere Erklärung? Laura biss sich auf die Lippen und blickte den Bruder zweifelnd an. »Und was ist, wenn man das Bild des Henkers in dieser Chronik einfach entfernt hat – und in der Kopie eben nicht?«
Lukas’ Antwort kam postwendend. »Quatsch!«, erklärte er vehement. »Wer sollte denn so etwas tun? Und aus welchem Grund?« Wieder blätterte er in den vergilbten Pergamenten. »Außerdem sind hier nirgendwo Kratzspuren zu erkennen.
Die wären bestimmt nicht zu übersehen, selbst wenn man sich noch so viel Mühe gegeben hätte. Du kannst mir wirklich glauben, Laura: Dieser Konrad ist aus dem Jenseits zurückgekehrt, weil er irgendwas gegen dich im Schilde führt. Wir müssen nur herausfinden, was.«
»Sag ich doch«, brummte Laura. Natürlich hatte Lukas Recht: Ihre Feinde waren wieder aktiv.
Was mochten die Dunklen Mächte diesmal vorhaben? Was hatte es mit diesem
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