Laura Leander 04 - Laura und der Fluch der Drachenkönige
Fraß, der ihnen vorgesetzt wurde, war ungenießbar und so kärglich, dass viele von ihnen ohne die Hilfe des Mädchens längst an Entkräftung gestorben wären. Alienor wusste, dass solche Samariterdienste strengstens verboten waren. Ihr drohten schlimme Strafen, falls sie erwischt würde. Und dennoch: Sie konnte es einfach nicht ertragen, wenn jemand Qualen erdulden musste, und so unternahm sie alles, um die Not der Gefangenen zu lindern. Zum Glück war ihr Tun bislang unentdeckt geblieben. Niemand wusste, dass sie nach dem Frühstück regelmäßig die Backstube der Dunklen Festung aufsuchte, um sich dort mit Brot und Gebäck einzudecken. Die Bäcker, die stets in den grauen Stunden des frühen Morgens arbeiteten, hatten ihren Dienst dann schon beendet.
Gerade schlich sie auf den Arbeitstisch neben dem Backofen zu, wo die noch warmen Brote aufgereiht waren und einen köstlichen Duft verströmten, als plötzlich Maruchas Stimme an ihr Ohr schallte: »Alienor? Bei allen Dämonen – wo treibst du dich denn rum?« Die Magd klang besorgt. »Alienor! Jetzt zeig dich doch endlich!«
Alienor verharrte und biss sich nervös auf die Lippen. Sollte sie sich zu erkennen geben? Oder sollte sie lieber schweigen und darauf hoffen, dass die Küchenmagd sie nicht in der Backstube vermutete? Andererseits war es ziemlich ungewöhnlich, dass Marucha nach ihr suchte, daher musste es einen wichtigen Grund dafür geben. »Ja, ja, ich komme ja schon!«, rief sie deshalb hastig. Einen Moment noch war sie versucht, sich einen der Laibe zu greifen und ihn unter ihrem zerschlissenen Gewand verschwinden zu lassen. Doch sie besann sich anders und schlüpfte aus der Backstube und eilte durch den langen Flur, der von den rußenden Flammen der spärlich verteilten Fackeln in ein zuckendes Dämmerlicht getaucht wurde. Am anderen Ende erschienen die Umrisse der Küchenmagd. Als Alienor bei ihr angelangt war, blieb sie, leicht außer Atem, stehen. »Was gibt es denn so Wichtiges?«, fragte sie mit unschuldiger Miene.
Marucha ignorierte ihre Frage. »Was treibst du denn in der Backstube um diese Zeit?«, erkundigte sie sich vielmehr und bedachte das Mädchen mit einem schrägen Blick.
»Äh… in der… in der Backstube?«, stotterte Alienor.
»Ja, in der Backstube.« Die Magd kniff misstrauisch die Augen zusammen, und eine abweisende Falte lief quer über ihre Nasenwurzel. »Oder willst du vielleicht behaupten, dort hinten…« – Sie deutete mit dem Kopf in die Tiefe des Ganges -»… befänden sich eure Sklavenunterkünfte?«
»Äh… Äh… Natürlich nicht!« Fieberhaft suchte das Mädchen nach einer Erklärung, um den offensichtlichen Argwohn der Frau zu zerstreuen. »Ich… Ich…«
»Ach, lass gut sein!« Zu Alienors Überraschung winkte Marucha plötzlich ab. »Soll mir auch einerlei sein.« Dann aber setzte sie in ernstem Ton hinzu: »Wenn ich dir einen guten Rat geben darf, Mädchen: Lass dich nicht erwischen, sonst ist es um dich geschehen. Ich habe schon viele gekannt, die ihren Kopf wegen weit geringerer Vergehen verloren haben!«
Alienor war sprachlos. Marucha wusste von ihrem heimlichen Treiben und hatte sie trotzdem nicht an die Wachen verraten! Was bedeuten musste, dass sie ein Herz besaß. Dabei stand die alte Magd schon lange im Dienste des Schwarzen Fürsten. Ob es außer ihr noch andere Bedienstete in der Burg gab, die keineswegs rückhaltlos auf der Seite der Schwarzen Mächte standen?
»Jetzt glotz mich nicht so an, als wäre ich ein wild gewordener Feuerdrache«, holte Maruchas Stimme sie aus ihren Gedanken. »Beeil dich lieber, dass du endlich zu deiner Herrin kommst! Sie hat getobt und gedroht, dich auspeitschen zu lassen, wenn du nicht augenblicklich im Thronsaal erscheinst!«
»Ja, ja, ich mach ja schon!«, murmelte Alienor und hastete erleichtert davon.
L ukas trat gerade durch den Torbogen, der aus dem Innenhof der Burg hinaus auf den Besucherparkplatz führte, als er aus den Augenwinkeln ein Auto wahrnahm, das sich auf der Landstraße mit großer Geschwindigkeit näherte und den Blinker setzte, um in die Einfahrt zur Burg abzubiegen – ganz offensichtlich der Wagen von Kommissar Bellheim. Überrascht wandte der Junge den Blick zur Straße, um sich zu versichern, dass er sich nicht getäuscht hatte – doch da war nichts. K ein A uto.
U nd erst recht nicht das des bärbeißigen K riminalkommissars.
Verwundert schüttelte Lukas den Kopf. Er musste sich getäuscht haben. Dabei hätte er schwören
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