Laura Leander 04 - Laura und der Fluch der Drachenkönige
dass es ziemlich leichtsinnig war, ohne jede Unterstützung einem Einbrecher gegenüberzutreten. Was, wenn der Eindringling bewaffnet war?
Aber wen hätte Lukas um Hilfe bitten sollen? Fast alle Lehrkräfte und Schüler hatten das Internat bereits verlassen. Nur Philipp und er waren noch da. Es hatte Lukas einige Überredungskunst gekostet, bis der Direktor ihnen – gegen den ausdrücklichen Protest von Attila – erlaubt hatte, noch ein paar Tage auf Ravenstein zu bleiben. Deshalb wollte er den Hausmeister jetzt lieber nicht belästigen.
Und den Professor hatte die Polizei in Gewahrsam!
Er hatte kurz überlegt, ob er Mr. Cool wecken sollte. Aber zum einen wusste er nicht, wie Philipp reagieren würde, wenn er mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen wurde. Zum anderen war es vielleicht doch möglich, dass er sich getäuscht hatte. Und vor Mr. Cool wie ein Angsthase dazustehen, der wegen ein paar harmloser Lichtreflexe Alarm schlug, darauf konnte er gut verzichten!
Als Lukas den Sockel der mächtigen Steinsäule passierte, die das Vordach trug, hob er den Blick zum Gesicht des Steinernen Riesen. Doch Portak gab kein Lebenszeichen von sich und stierte nur stur geradeaus. Vielleicht sollte ich ihn zum Leben erwecken?, dachte er kurz, verwarf den Gedanken aber sogleich wieder. Es war ihm zwar schon mal gelungen, den Giganten aus seinem steinernen Schlaf zu holen, um Laura und Kaja vor dem sicheren Tod in der Alten Gruft zu bewahren, aber welchen Grund sollte er ihm diesmal nennen? »Sorry, Portak, aber ich glaube, ich habe Licht in Percys Arbeitszimmer gesehen…?«
N ein, lieber nicht!
Der Steinerne Riese würde sich bedanken, wenn er auf einen vagen Verdacht hin aus seiner Granitruhe aufgeschreckt wurde.
Als Lukas die beiden Buchsbaumhunde passierte, die in der Nähe des Südwestturms aus dem dichten Rasen wuchsen, hatte er für einen Moment den Eindruck, sie würden sich bewegen. Er blieb stehen, um die Pflanzenskulpturen näher in Augenschein zu nehmen. Schließlich kannte Lukas ihr Geheimnis: Albin Ellerking, der Internatsgärtner, konnte sie auf geheimnisvolle Weise zum Leben erwecken. Dann verwandelten sie sich in Dragan und Drogur, die reißenden Doggen der Dunklen Mächte. Die grünen Hunde verharrten jedoch reglos an ihrem Platz. Nur die kleinen Blätter an den Zweigen raschelten leise im Wind.
Er musste sich getäuscht haben. Es ist sicher nichts weiter als ein Schatten oder ein Schimmer des Mondes gewesen, der gerade hinter einer dicken Wolke verschwunden ist, dachte Lukas, während er dem Kiespfad zum Wohnhaus der Lehrer folgte. Der Käuzchenschrei, der gleich darauf durch die Nacht hallte, konnte ihn ebenso wenig schrecken wie die Fledermäuse, die zwischen den Wipfeln der alten Parkbäume lautlos ihrer Beute nachjagten.
Vor dem Eingang zum Lehrerhaus blieb der Junge stehen. Wie tote Augen blickten ihm die dunklen Fenster der Vorderfront entgegen. In keinem von ihnen war auch nur der schwächste Lichtschein zu erkennen. Sollte er sich doch getäuscht haben?
Er beschloss dennoch nach dem Rechten zu sehen.
S icher ist sicher!
Der Schlüssel zu Percys Arbeitszimmer hing immer noch an seinem Bund. Der Lehrer hatte ihm den Ersatzschlüssel nach dem unerklärlichen Verschwinden von Marius anvertraut, weil Lukas in den Unterlagen des Vaters, in seinen Büchern und natürlich auch in seinem Computer tagelang nach einem Hinweis auf dessen Aufenthaltsort gesucht hatte – ohne Erfolg. Wie hätte er ahnen können, dass der Vater von Borborons Schergen nach Aventerra entführt worden war? Da der Schlüssel gleichzeitig auch für die Eingangstür passte, hatte Lukas keine Mühe, in das Gebäude zu gelangen.
Drinnen war es still wie in einem Geisterhaus. Und dunkel wie in einem Grab. Schon griff Lukas nach dem Schalter, als ihm einfiel, dass es besser wäre, auf Licht zu verzichten. Sollte sich im Haus tatsächlich ein Eindringling befinden, könnte er dadurch gewarnt werden. Und so tastete er sich, sorgfältig darauf bedacht, keinen Lärm zu machen, ins Obergeschoss.
Der Flur, der zu Percys Arbeitszimmer führte, glich einem gefährlichen Schlund im Rachen eines Ungeheuers. Dem Jungen wurde unwohl in seiner Haut. Sein Schritt verlangsamte sich, während er dicht an der Wand entlang auf die Tür am Ende des Ganges zuschlich. Mit einem Mal war ihm, als höre er Laute: ein seltsames, kaum wahrnehmbares Wispern, das aus den angrenzenden Zimmern zu kommen schien. Als würden dort winzige Wesen eine
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