Laura Leander 04 - Laura und der Fluch der Drachenkönige
blickte mit breitem Grinsen zu ihm hoch. »Nimmst du den Fifty-Fifty-Joker – oder willst du jemanden anrufen?«
»Haha«, antwortete Lukas wenig amüsiert. »Soll ich ein Messer zum Seilabschneiden nehmen – oder besser eine Schere?«
»Deine Witze werden auch immer schlechter!«, brummte Philipp und blickte ihn auffordernd an. »Hast du Lust, es auch mal zu versuchen?«
»Ein anderes Mal vielleicht.«
Philipp kniff ein Auge zu. »Was willst du denn von mir?«
»Ich bin auf der Suche nach einem alten Buch, das ich ganz dringend brauche: ›Geschichte und Geschichten unserer Heimat – und ihr Niederschlag in der bildenden Kunst‹, erschienen 1888. Der Autor heißt Heinrich Freudenpert. Könntest du im Internet recherchieren, ob und wo das noch zu haben ist? Im Buchhandel, in Antiquariaten oder irgendwo in einer Bibliothek. Ich muss nämlich was Wichtiges erledigen und hab dafür im Moment leider keine Zeit.«
»Yo, kein Problem«, gab Mr. Cool zurück und pendelte gelangweilt an dem Seil vor der Hauswand herum, als sei das die leichteste Übung der Welt. »Wird gemacht.« Dann verzog er fragend das Gesicht. »Aber was hast du denn vo–?«
Lukas unterbrach ihn hastig. »Ich hätte noch eine kleine Bitte an dich.«
»D ann hat diese Analina also Anspruch auf den Königsthron des Güldenlandes gehabt?«
»Genauso verhält es sich, Laura.« Die Alte hatte auf einem ausrangierten Stuhl Platz genommen und nickte dem Mädchen, das sich auf den Boden gehockt hatte, anerkennend zu. »Sie war das erstgeborene Kind und vier Sommer älter als ihr Bruder Anasin. Nach den Gesetzen des Güldenlandes hätte der Thron ihr gebührt.«
»Aber dazu ist es nicht gekommen?«
»Nein, und niemand bedauert das mehr als ich.« Saiima seufzte. »Das alles liegt schon lange zurück, Laura. Analina und ich wurden im selben Sommer geboren und sind gemeinsam auf Gleißenhall aufgewachsen. Ich als Tochter einer einfachen Magd, sie als die Erstgeborene von König Dragan. Obwohl wir vom Stand her kaum unterschiedlicher hätten sein können, haben wir uns angefreundet. Das höfische Leben und all das vornehme Getue, was damit verbunden war, hat Analina nicht im Geringsten interessiert. Deshalb hat es sie auch nicht gestört, dass in meinen Adern kein königliches Blut fließt. Ganz im Gegensatz zu König Dragan, der ihr den Umgang mit mir auch untersagt hat. Aber darum hat Analina sich nicht geschert.«
Ungläubig verzog Laura das Gesicht. »Und deswegen durfte sie nicht Königin werden?«
»Nein, Laura, das war nicht der Grund.« Wehmütig schüttelte Saiima den Kopf. »Dass Analina nicht auf den Königsthron des Güldenlandes gelangt ist, hat mit den Drachen zu tun.«
»Mit den Drachen? Das verstehe ich nicht…«
»Wie solltest du auch?« Ein vieldeutiges Lächeln huschte über das Gesicht der Zofe. »Deswegen will ich dir Analinas Geschichte ja erzählen. Zumal ich glaube, dass dich viel mehr mit ihr verbindet, als du vielleicht ahnen magst.«
»Wie kommt Ihr denn auf diese Idee?«
»Nur Geduld, Laura«, antwortete Saiima, noch immer hintergründig lächelnd. »Du wirst schon bald verstehen.« Als sie dann jedoch zu erzählen anhob, wurden ihre Züge ernst.
Und so erfuhr Laura, dass Analina schon sehr früh einen eigenen Kopf hatte und ihre persönlichen Neigungen und Interessen selbst gegen den erbitterten Widerstand ihrer Familie, insbesondere des Vaters, durchsetzte. Im Alter von zwanzig Sommern begann die junge Frau die Geschichte des Güldenlandes zu studieren. Sie las sämtliche Bücher und Dokumente, die sich zu dem Thema in der gut bestückten Bibliothek und im umfangreichen Archiv der Burg fanden. Eine Region ihres Heimatlandes hatte es ihr besonders angetan: die Drachenberge, die das Goldene Reich im Norden von der Ebene von Calderan abgrenzen. Mit ungebremstem Forscherdrang versuchte sie, so viel wie möglich über das Drachenland und seine Bewohner herauszufinden. Analina durchforstete und sammelte sämtliche Dokumente, derer sie habhaft werden konnte – womit sie den Unwillen ihres Vaters erregte. König Dragan verbot ihr kurzerhand, sich weiterhin mit den Drachenbergen und den Drachen zu beschäftigen.
»Aber was ist denn so verwerflich daran, sich mit der Vergangenheit des eigenen Landes auseinander zu setzen?«, wollte Laura wissen.
»Wenn ich das nur wüsste, Laura.« Saiima seufzte bekümmert. »Aber bis heute hat sich mir nicht erschlossen, was damals vorgefallen ist. Jedenfalls kam es eines Tages zu
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