Laura Leander 04 - Laura und der Fluch der Drachenkönige
bedeuten, dass Saiima mir einen haarsträubenden Unsinn erzählt hat – wozu sie jedoch nicht den geringsten Anlass hatte. Das alles ließ nur einen Schluss zu: Irgendetwas stimmte hier nicht.
»Aber… wie kommt es dann, Majestät«, fuhr sie höflich, aber bestimmt fort, »dass selbst Eure Zofe erwä –«
»Ach, Laura«, unterbrach König Malik in mitleidigem Ton. »Die Bedauernswerte ist nicht mehr recht bei Sinnen. Sie hängt den alten Zeiten nach und hat darüber den Verstand verloren. Saiima sieht überall nur Gespenster – und du wohl manchmal auch.« Damit blickte der Herrscher zur Uhr und erhob sich. »Tut mir Leid, dass ich dir nicht weiterhelfen kann, aber ich muss dringend wieder an meine Amtsgeschäfte«, erklärte er höflich. »Und auch du hast noch viel vor, wie du gestern erklärt hast. Deshalb wollen wir dich nicht länger aufhalten. Ich hoffe, du und dein Begleiter, ihr habt den Aufenthalt auf Gleißenhall ebenso genossen wie eure Reittiere. Und nun leb wohl, Laura!« Schon verschwand er durch die Tür, die von einem diensteifrigen Pagen unverzüglich aufgerissen worden war. Er hatte sich nicht einmal von seiner Familie verabschiedet.
Laura hatte den Wink verstanden. Sie erhob sich und deutete eine Verbeugung vor der Königin an. »Vielen Dank, Majestät. Ich hoffe, dass Ihr und Euer Gemahl eines Tages für die große Mühe belohnt werdet, die Ihr Euch mit uns gemacht habt.«
Laura reichte ihrer Gastgeberin die Hand und verließ den königlichen Speisesaal.
Während sie in ihrer Kammer die wenigen Habseligkeiten zusammensuchte, sann sie darüber nach, ob König Malik Recht hatte. Vielleicht war Saiima wirklich nicht mehr ganz Herr ihrer Sinne, seit sie ihre Freundin Analina verloren hatte. Und bestimmt hatte sie selbst diese Frau auf dem Burghof wirklich nur geträumt. Die Silberne Sphinx in ihren Albträumen war ja schließlich auch so realistisch gewesen, dass sie stets geglaubt hatte, leibhaftig vor dem schrecklichen Ungeheuer zu stehen. Vielleicht hatte sie in der Nacht tatsächlich nur ein Gespenst gesehen, wie Malik vermutete.
Es dauerte nicht lange, bis ihre Sachen gepackt waren. Schon wollte Laura das Gemach verlassen, als ihr Blick zufällig auf den Boden fiel. Dicht vor dem Fenster lagen die Scherben eines Kerzenleuchters! Demnach war er ihr in der Nacht tatsächlich vor Schreck aus der Hand gefallen, der Beweis, dass sie tatsächlich in der Nacht vor dem Fenster gestanden und in den Burghof geschaut hatte. Nun gab es für Laura keinerlei Zweifel mehr: Entweder Analina oder ihre Mutter hatten von dort unten zu ihr hinaufgeblickt.
Was vermutlich bedeutete, dass Saiimas Erzählungen ebenso wahr wie König Maliks Erklärungen gelogen waren.
Dafür muss es einen Grund geben!, dachte Laura und schnitt unwillkürlich ein grimmiges Gesicht, als sie die Kammer verließ. Es war fast so düster wie das Geheimnis, das auf Gleißenhall und seiner Herrscherfamilie lastete.
M it schweißüberströmtem Gesicht strampelte Lukas auf dem Mountainbike von Alexander Haase durch Ravenstein. Mr. Cool hatte ihm den Schlüssel für das Fahrrad seines Zimmergenossen anvertraut, das dieser während der Ferien stets im Internat ließ. Das T-Shirt klebte Lukas am Leib. Es war schon eine ganze Weile her, dass er das letzte Mal Rad gefahren war, und so schmerzten seine Beine und sein Hintern.
Das Anwesen des Försters lag außerhalb des Ortes am Waldrand.
Der Förster, ein wohlbeleibter Mann in den Fünfzigern, gab sich zunächst ziemlich abweisend und wollte Lukas’ Fragen nicht beantworten. Erst als der Junge ihm erzählte, dass Laura seine Schwester war, taute Krone auf. Er lud Lukas ein, sich an den groben Holztisch neben der Eingangstür zu setzen, und holte sogar eine Limonade aus dem Keller. Nachdem er dem Jungen eingegossen hatte, nahm er ihm gegenüber Platz, faltete die Hände über dem Bauch, der sich unter seinem grünen Jägerhemd spannte, und wurde zunehmend gesprächiger.
»Es stimmt«, sagte er. »Ich habe deine Schwester in jener Nacht tatsächlich gesehen. Das heißt – zunächst dachte ich ja, sie wäre ein Junge.«
Lukas stellte das Glas ab und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Weil sie Jungenkleider trug und auch ihre langen Haare nicht zu sehen waren?«
»Ja, genau!« Krone schob den Hut mit dem Gamsbart in den Nacken und tupfte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. »Erst gestern Abend vor dem Fernseher ist mir dann klar geworden, dass es
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