Laura Leander 04 - Laura und der Fluch der Drachenkönige
sanften gelben Schein hinter den Stallfenstern bemerkte, atmete der Junge erleichtert auf. Dietrich hatte also doch noch mit den Pferden zu tun.
Als Lukas die Stalltür aufzog, quietschte sie leise in den Angeln. Das Mahlen kräftiger Kiefer war zu hören, und das dumpfe Getrappel von Hufen. Der warme Geruch von Pferdeleibern, Heu und Stroh schlug dem Jungen entgegen. Und der unverkennbare Duft von Pferdeäpfeln. Unwillkürlich rümpfte Lukas die Nase, während er sich in den Stall hineinschob.
Fast sämtliche der Boxen links und rechts vom beleuchteten Mittelgang waren belegt. Ein gutes Dutzend Pferde unterschiedlicher Rassen war darin verteilt. Nur wenige – darunter auch Salamar, der Schimmel von Percy Valiant – hoben den Kopf von den gefüllten Raufen, um, gemächlich weiterkauend, den Eindringling zu beäugen.
Eigenartigerweise war von Nikodemus Dietrich keine Spur zu entdecken. Schon wollte der Junge wieder umkehren, als er ein Geräusch aus der angrenzenden Scheune hörte – machte sich der Bauer vielleicht dort zu schaffen?
Als Lukas durch die Tür in die Tenne trat, brannte dort zwar Licht, aber es war keine Menschenseele zu sehen. Sollte Dietrich auf den Heuboden geklettert sein? Doch dort gähnte nur samtschwarze Dunkelheit.
In diesem Moment hörte er ein Geräusch aus dem Stall. Ein scharrendes, schabendes Geräusch, wie wenn ein schwerer Steinklotz über einen Fliesenboden gezogen wird. Ein Schatten schob sich langsam aus der Türöffnung, und dann trat, gemächlich einen Granitfuß vor den anderen setzend, eine klobige Gestalt in die Scheune: Reimar von Ravenstein, der Grausame Ritter, den die Dunklen zum Leben erweckt hatten! Und in seiner Rechten hielt er tatsächlich sein mächtiges Schwert. D en S chädelspalter.
Das graue Granitgesicht im offenen Visier verzog sich zu einem hämischen Grinsen. Die Augen des Ritters funkelten verschlagen, während er den Jungen beobachtete.
D as kann doch nicht wahr sein! N ur weg hier!, durchzuckte es Lukas. Schon wollte er zum Scheunentor hetzen, als die kleine Holztür, die darin eingelassen war, geöffnet wurde und eine zweite Gestalt in die Tenne trat, die nicht weniger Furcht erregend war: Konrad Köpfer. Kons, der ehemalige Henker von Burg Ravenstein. Der Wiedergänger, der im Laufe der Jahrhunderte, die er nun bereits zwischen dem Reich der Toten und der Welt der Lebenden hin und her wechselte, einen weiteren Namen erhalten hatte: D er R ote T od!
Auch der hagere Albino schien sich an dem Entsetzen, das den Jungen gepackt hatte, zu weiden. Ein unerbittliches Lächeln stand in dem fahlen Gesicht unter den feuerroten Haaren, und auch in seinen geröteten Augen las Lukas nur Grausamkeit. »Na, du Bankert«, höhnte er mit bleichen Lippen. »Damit hast du wohl nicht gerechnet, was?«
Lukas wirbelte auf dem Absatz herum und stürmte zum Hinterausgang der Scheune, als er das dicke Vorhängeschloss erblickte, das in der Verriegelung des Tores hing. Obwohl ihm der Verstand sagte, dass das Tor abgeschlossen sein musste, raste er wider alle Vernunft darauf zu und versuchte es aufzureißen – vergeblich.
Er steckte in der Falle. War rettungslos verloren!
Mit aufreizender Langsamkeit näherten sich die Verfolger. Reimar ließ das Schwert bedrohlich durch die Luft sausen, während der Rote Tod spielerisch die langen Knochenfinger krümmte – als wollte er Maß nehmen für den schmalen Hals seines Opfers.
Lukas schluckte. Seine Knie wurden zu Gummi, und seine Beine begannen zu schlottern. Die Brille rutschte ihm so weit nach vorn, dass er die beiden nur noch verschwommen wahrnahm. Mit angstgeweiteten Augen starrte er den unheimlichen Wesen entgegen.
D as ist das E nde!
L aura wurde durch ein jämmerliches Fiepen aus dem Schlaf geschreckt. Als sie sich auf ihrem Lager aufrichtete – sie hatte die kleine Schlafkammer gewählt, während Venik sich auf dem Diwan im Wohnraum zur Ruhe gebettet hatte –, erkannte sie, dass Schmatzfraß auf dem Fenstersims hockte und angespannt durch die Scheibe spähte. Das aufgeregte Pochen seines Herzens war zu erkennen, und immer wieder ließ er verängstigte Laute hören.
Laura erhob sich, huschte lautlos zum Fenster und blickte hinaus in die Dunkelheit. Sogleich erkannte sie den Grund für die Aufregung: In einem Fenster im obersten Stock des Turms flackerte ein schwaches Licht, als werde der Raum dahinter von Kerzen oder Fackeln erleuchtet. Und immer wieder verdunkelte ein Schatten die Scheibe, gerade so, als
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