Laura Leander 05 - Laura und der Ring der Feuerschlange
wer aufgibt, hat schon verloren!«
Laura fasste in die Tasche ihres Anoraks und holte ein unscheinbares Fläschchen aus grünem Glas hervor. Es war nicht sehr groß, und der schlanke Hals war durch einen Korken verschlossen. Das Mädchen lächelte, als es die Flasche öffnete.
Doch nichts geschah. Nur ein leises Schnarchen war zu hören.
Laura pochte mit dem Zeigefinger gegen das grüne Glas. »Hey! Aufwachen, du Schlafmütze«, flüsterte sie.
Ein herzhaftes Gähnen ertönte, dann ein Zischen – und schließlich stieg weißer Nebel aus dem Flaschenhals.
Immer mehr quoll daraus hervor, bis eine gut zwei Meter hohe Wolke vor dem Mädchen aufragte.
Laura schmunzelte zufrieden. »Wurde auch langsam Zeit, Rauenhauch!«
»Warum so ungeduldig, Herrin – so ungeduldig?«, tönte eine verschlafene Stimme aus dem Nebel, die merkwürdig gedämpft: klang und einen leichten Widerhall hatte. »Sagt mir lieber, welchen Wunsch Ihr habt, Herrin – Wunsch Ihr habt?«
»Einen ganz kleinen nur, der selbst einer Schlafmütze wie dir keine Probleme bereiten sollte«, raunte Laura.
Der Flüsternde Nebel antwortete nicht, aber Laura spürte deutlich, dass er beleidigt war.
»War doch nur Spaß«, beschwichtigte sie ihren fantastischen Helfer leise. »Hülle mich ein, damit niemand mich sehen kann!«
»Euer Wunsch mir Befehl ist, Herrin!« Rauenhauch klang tatsächlich verstimmt. »Mir Befehl ist!« Er tat wie geheißen: Der Nebel wirbelte um das Mädchen herum, bis es vollständig vom weißen Hauch eingehüllt war und niemand mehr hätte erkennen können, dass sich in diesem Nebelschleier ein Mensch verbarg.
Derart geschützt, stieg Laura die Treppe zum Balkon hinauf. Darauf bedacht, kein Geräusch zu machen, umrundete sie fast das gesamte Haus, bis sie schließlich zum Schlafzimmerfenster von Lena Luzius gelangte. Rauenhauchs tarnende Hülle erlaubte es ihr, direkt vor der Scheibe Position zu beziehen. Selbst wenn die Wöchnerin zum Fenster gesehen hätte, hätte sie dort nur Nebelschwaden entdeckt – nichts Ungewöhnliches für die Jahreszeit!
Doch die junge Mutter warf keinen Blick nach draußen. Den Rücken durch das Kopfkissen gestützt, saß Lena halb aufgerichtet im Bett. Die blonden Haare, denen der Schein der Nachttischlampe einen goldenen Schimmer verlieh, fielen ihr ins Gesicht, dem die Erschöpfung deutlich anzusehen war. Aber auch das grenzenlose Glück über die neugeborene Tochter war darin zu lesen. Lena hielt einen Gänsekiel in der Hand und schrieb damit eifrig in ein Buch, das vor ihr auf der Decke lag.
Laura erkannte es sofort: Es war das Buch, das ihr Bruder und sie im Schrank auf dem Speicher entdeckt hatten! Sie kniff die Augen zusammen und versuchte einige der Notizen zu entziffern, aber da klappte Lena das Buch auch schon zu und legte die Feder zur Seite. Dann schaute sie zur Wiege, die neben ihrem Bett direkt unter dem Fenster stand. Laura musste unwillkürlich lächeln, als sie ihren Blick ebenfalls darauf richtete. Darin lag, eingehüllt in wärmende Decken, ein winziger Säugling. Sein Gesicht war rosig, die Augen fest geschlossen. Ein dunkler Haarflaum bedeckte das Köpfchen. Die winzigen Finger, die aus den Ärmeln der rosafarbenen Babyjacke ragten, waren zu kleinen Fäusten geballt und bewegten sich im Schlaf.
Wie süß Mama als Baby gewesen ist!
Lena hatte offensichtlich ähnliche Gefühle, denn sie lächelte selig. Sie richtete sich auf, beugte sich über die Wiege und streichelte ihr Kind. »Anna«, murmelte sie. »Meine kleine Anna.«
Jetzt erst konnte Laura den Ring erkennen, den sie an der rechten Hand trug. Kein Zweifel – es war der gleiche Ring, der auf dem alten Schriftstück abgebildet war.
Der Ring der Feuerschlange!
Als die Wöchnerin sich wieder ins Kissen sinken ließ, verspürte Laura plötzlich einen derart frostigen Hauch, dass sie erschrocken zusammenzuckte. Die Kälte legte sich auf ihre Brust und griff mit eisiger Hand nach ihrem Herzen, als wollte sie es augenblicklich erstarren lassen.
Auch Lena Luzius schien etwas bemerkt zu haben. Maßloses Entsetzen spiegelte sich auf ihrem Gesicht. Sie fasste sich an die Kehle und richtete sich in ihrem Bett auf. Was dann geschah, war so grauenvoll, dass Laura es in ihrem ganzen Leben nie mehr vergessen sollte.
Entmutigt schlug Lukas das dicke Buch mit den leeren Seiten zu und schob es von sich. Eine halbe Ewigkeit mühte er sich jetzt schon damit ab, dem Buch sein Geheimnis zu entlocken. Doch so lange er auch auf die
Weitere Kostenlose Bücher