Laura Leander 05 - Laura und der Ring der Feuerschlange
blanken Seiten gestarrt und so sehr er sich auch konzentriert hatte – er hatte nichts erreicht. Nur für einen kurzen Augenblick hatte er ein Bild seiner Oma erhaschen können, die über das Buch gebeugt saß und mit einem Federkiel hineinschrieb. Kein Zweifel, das geheimnisvolle Werk enthielt Lenas Notizen, und er hatte bisher kein einziges Wort lesen können! Dabei barg dieses Buch mit Sicherheit wichtige Informationen!
Es war einfach zum Verzweifeln!
Plötzlich schreckte Lukas aus seinem Missmut auf und blickte zu seiner Schwester, die auf dem Bett ruhte, während sie in ihrer Traumgestalt auf Reisen war.
Hatte Laura nicht eben gestöhnt?
War sie nicht ängstlich zusammengezuckt?
Vielleicht hatte er sich das nur eingebildet. Lukas erhob sich vom Schreibtischstuhl, trat dicht an das Bett heran und musterte seine Schwester, die in tiefer Trance dalag.
Lauras Gesicht war maskenhaft starr. Nichts rührte sich darin, sie zuckte nicht mal mit der Wimper. Auch ihr Körper war völlig reglos. Nichts deutete darauf hin, dass Lauras Traumreise durch einen unvorhergesehenen Zwischenfall gefährdet sein könnte. Dennoch – sie machte einen leblosen Eindruck auf ihn, und ihm wurde ganz mulmig.
Ob Laura sich in Gefahr befand? Schon bei mehreren Traumreisen hatte er auf ihre in der Gegenwart zurückgebliebene Körperhülle aufgepasst und dabei erkannt, dass der Körper in der Gegenwart durchaus auf das reagierte, was Laura während ihrer fantastischen Ausflüge widerfuhr. Schon einmal hatte sie ihm bittere Vorwürfe gemacht, weil er sie nicht rechtzeitig geweckt hatte. Damals hatte sie um ihr Leben fürchten müssen.
Möglicherweise befand sie sich jetzt in einer vergleichbaren Situation? War es nicht besser, wenn er sie zurückholte? Oder stand Laura kurz vor einer wichtigen Entdeckung? Dann würde er durch übereiltes Handeln alles zunichte machen.
Lukas wiegte unschlüssig den Kopf – und entschied dann, den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen. Laura hatte inzwischen so viel Erfahrung gesammelt, dass sie jedes Problem bewältigen konnte – nun ja, fast jedes. Der Junge begab sich wieder an den Schreibtisch zurück und nahm sich das Schriftstück vor, das neben dem mysteriösen Buch lag. Sein Blick schweifte über das Gedichtfragment:
»Du musst versteh’n,
Aus Eins mach Zehn,
Und Zwei lass gehen.
Und Drei mach gleich,
Nah ist ihr Reich.
Verlier die Vier
Aus Fünf und Sechs,
So sagt die Hex’.«
Was konnte das nur bedeuten? Und weshalb kam ihm dieser Reim so bekannt vor?
Lukas starrte grimmig auf das Schriftstück. Es handelte sich sicher um eine Art Code. Einen Code, der den richtigen Weg zur Feuerschlange wies, wie die Zeilen weiter oben verrieten. Wenn Lauras Vermutung zutraf, stammte dieses Geschöpf aus der Unterwelt, in der ihre Mutter gefangen gehalten wurde. Und offensichtlich konnte man mit Hilfe dieses Gedichts den Zugang zu dieser Welt finden, der ganz in der Nähe des Nebelse-
Lukas hatte das Wort noch gar nicht vollständig gedacht, als ihn eine große Unruhe ergriff. Das Blut pochte in seinen Adern, und seine Hände und Füße begannen zu kribbeln. Er hatte das Gefühl, kurz vor einer wichtigen Entdeckung zu stehen. Weshalb hatte man den Vers ausgerechnet im Nachlass von Doktor Faust entde-
Plötzlich wusste Lukas, woher er den Reim kannte. »Ich Spar-Kiu!«, schalt er sich selbst. »Warum bin ich da nicht gleich drauf gekommen?«
Maßloses Grauen hatte Laura erfasst – und dennoch war sie unfähig, den Blick von den unglaublichen Geschehnissen abzuwenden, die sich in Lenas Schlafzimmer abspielten: Aus der gegenüberliegenden Wand des Zimmers hatte sich eine Schrecken erregende Gestalt gelöst.
Sie wies Ähnlichkeit mit der Gestaltwandlerin Syrin auf. Allerdings trug sie kein smaragdgrünes Kleid. Das Gewand, das sich wie die Haut einer Schlange an den schlanken Frauenkörper schmiegte, sah aus wie tausend züngelnde Flammen. Das menschenähnliche Scheusal war wie eingehüllt von Feuer. Auf seinem Haupt schien ebenfalls ein Feuer zu lodern, denn das Haar war eine üppige feuerrote Lockenpracht.
Die gelben Reptilienaugen waren weit Furcht einflößender als die der Schwarzmagierin. Anstelle einer Nase klafften nur zwei Löcher. Sie befanden sich dicht über einem lippenlosen Mund. Als sie ihn öffnete und eine schmale gespaltene Zunge daraus hervorzüngelte, sah Laura spitze Zähne, die mit Sicherheit ein tödliches Gift enthielten.
Die Feuerschlange!
Der Anblick war
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